Bochum. . Mit ihrem Modell für eine häusliche Pflege von Wachkoma-Patienten versuchte Andrea Porsfeld vor allem, das Schicksal ihrer Mutter zu verarbeiten. Nun wurde die Webdesignerin für ihre Idee von der UNESCO ausgezeichnet.

Andrea Porsfeld (43) war dabei, als ihre Mutter im Oktober 2009 auf der Toilette eines Lokals am Kemnader Stausee plötzlich zusammenbrach. Wie sich herausstellte, hatte Waltraud Porsfeld (70) eine Gehirnblutung. Noch heute liegt sie im Wachkoma.

Über ein Jahr verging, bis die ehemalige Krankenschwester zu Hause bei ihrem Mann Karl Porsfeld (72) gepflegt werden konnte. „Allein die Vorsorgevollmacht für meinen Vater zu bekommen, hat monatelang gedauert“, sagt Tochter Andrea. Sie habe nicht gewusst, dass der Ehepartner nicht automatisch über alles entscheiden kann, fügt sie an.

Vom Knappschaftskrankenhaus ging es für ihre Mutter erst in die Reha, dann in ein Pflegeheim mit Wachkoma-Station in Gelsenkirchen.

Gemeinsam mit anderen Patienten unter einem Dach leben

„Unser Ziel war es, sie nach Hause zu holen“, sagt Andrea Porsfeld. Mangels Alternativen und Beratung entwickelte sie in dieser Zeit ein eigenes Konzept zur Pflege von Wachkoma-Patienten. Mit ihrer Idee nahm Porsfeld dieses und letztes Jahr an dem Wettbewerb „Ideen Initiative Zukunft“ des DM-Drogeriemarkts und der UNESCO teil. Mit dem Projekt „LebensWert“ gewann sie beide Male eine Prämie von rund 1000 Euro und ein Zertifikat der UNESCO. Das Konzept: Von Wachkoma betroffene Familien sollen in einem Mehrfamilienhaus zusammenleben. In einer leer stehenden Wohnung würden die nötigen Umbauten im Bad und Gemeinschaftsräume geschaffen werden. „Der Vorteil einer solchen Lebensgemeinschaft wäre, dass der Pflegeanspruch der Patienten summiert würde“, sagt Tochter Porsfeld. Die nötige Pflege könnte so einfacher rund um die Uhr finanziert werden. „Es muss doch Möglichkeiten geben, mit seinem liebsten Menschen zusammenzuleben und die Pflege bezahlen zu können“, formuliert sie den zentralen Gedanken des Modells. Sie entwarf eine Zeichnung am Computer, die den Aufbau eines solchen Wohnprojekts zeigt.

Die Teilnahme an dem Wettbewerb sei für sie auch ein erster Schritt gewesen, um mit dem Schicksal ihrer Mutter zurechtzukommen, sagt Porsfeld heute.

Modell bleibt erstmal eine Zukunftsvision

Das Modell bleibt aber wohl vorerst eine bemerkenswerte Idee, eine Zukunftsvision. Für Familie Porsfeld klärte sich die Situation auf andere Weise. Karl Porsfeld erfuhr auf einer Reha-Messe, dass seine Frau Anspruch auf eine 24-Stunden-Pflege hat. Der Grund ist, dass sie nicht bewusst schluckt und theoretisch an die Kehle hinabfließendem Speichel ersticken könnte. Zwar dient ein Röhrchen und ein Ballon in der Luftröhre dazu, dies zu vermeiden, ganz sicher ist das jedoch nicht. Darum muss sie beaufsichtigt werden.

Die Gesellschaft für medizinische Intensivpflege (GIP) in Berlin unterstützte Karl Porsfeld von da an in jeder Hinsicht, so dass seine Frau seit März 2011 bei ihm im eigenen Haus rund um die Uhr gepflegt und therapeutisch, z. B. von einer Logopädin, behandelt wird. Ein erster Fortschritt ist, dass Waltraud Porsfeld etwas Brei vom Löffel zu sich nimmt.

Seit seine Frau im Wachkoma liegt, schreibt Karl Porsfeld Tagebuch. 370 Seiten sind schon getippt. „Natürlich hoffen wir, dass es irgendwann wieder besser wird“, sagt er und schaut seine Ehefrau dabei an. Sie sitzt in einem Rollstuhl in ihrem Wohnzimmer. Ihre Augenlider scheinen geschlossen, doch sie vibrieren leicht. Gleich nachdem ihr Mann den Satz beendet hat, atmet sie einmal sehr tief ein und wieder aus – als ob sie ihn irgendwie verstanden hätte. Ausgeschlossen ist das nicht. Darüber sind sich Andrea und Karl Porsfeld einig.