Essen. Wie human ist es, einen Menschen über Jahre hinweg im Wachkoma zu lassen? Solche Fragen stehen im Raum, nachdem ein italienisches Gericht auf Drängen des Vaters erlaubte, die künstliche Ernährung seiner Tochter im Wachkoma abzustellen.

Prof. Linus Geisler:
Prof. Linus Geisler: "Das Innenleben ist nicht erloschen" © WAZ

Der Mediziner Prof. Linus Geisler aus Gladbeck: "Das Innenleben eines Menschen im Wachkoma ist keineswegs erloschen." Geisler, ehemaliges Mitglieder der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" des Bundestages, verweist darauf, dass Untersuchungen per Computertomographie oder Kernspin längst dokumentiert hätten, dass es sich bei Wachkoma-Patienten nicht um eine leere Hülle handele.

Er zitiert eine wissenschaftliche Untersuchung aus den USA: "Wachkoma-Patienten sollten sich vorstellen, wie sie durch ein Haus gehen. In der Vergleichsgruppe stellte man auch Gesunden diese Aufgabe. Das Ergebnis war verblüffend - die Hirnaktivitäten waren gleich."

"Er ist lebendig, sein Herz funktioniert"

Wachkoma-Patienten seien keinesfalls hirntot. Das würde bisweilen verwechselt, so Geisler. "Sogar von Experten am Vormundschaftsgericht. Das hat eine staatsrechtliche Untersuchungen ergeben. Ich halte das für skandalös, wird doch bei den Gerichten über Leben und Tod entschieden."

Der Unterschied zwischen Wachkoma und Hirntod sei der: Ein hirntoter Patient würde ohne Gerätemedizin sterben. Ein Patient im Wachkoma nicht. "Er ist lebendig, sein Herz funktioniert, er atmet selbstständig. Er kann eben nur nicht essen und trinken."

Aber er kann fühlen. Das sei mittlerweile wissenschaftlich belegt. Und mehr: "Wenn ein vertrauter Mensch den Raum betritt, verändern sich die Herzaktionen. Oft erkennt der Patient diesen Menschen durch den Geruch des Parfums." Auch sei es nachgewiesen, "dass diese Menschen Träume haben und über eine innere Erlebniswelt verfügen".

Hingegen sei es keineswegs belegt, dass diese Patienten nicht das Gefühl von Hunger oder Durst kennen, so Linus Geisler. "Man kann nur hoffen, dass es nicht so ist." Das Fehlen der Magensonde sei sonst eine Quälerei.

40 Prozent werden wieder gesund

Prof. Michael Zenz:
Prof. Michael Zenz: "Die Schmerzleitung ist unterbrochen" (Foto: WAZ, Ingo Otto) © WAZ

Der Bochumer Schmerztherapeut Prof. Michael Zenz von der Bochumer Uni-Klinik jedoch verweist auf Untersuchungen, die belegen, dass zumindest die Schmerzleitung komplett unterbrochen ist. "Das ist mit Sicherheit nachgewiesen", so Zenz.

Welche Zukunft ein Wachkoma-Patient hat, hänge vom Ausmaß der Hirnverletzungen ab. Oft ist es so, dass während der ersten drei Monate 50 Prozent der Patienten wieder wach werden, so die Deutsche Wachkoma-Gesellschaft. 30 Prozent der Patienten sterben, 30 Prozent bleiben ein Pflegefall - aber 40 Prozent, so heißt es, werden wieder gesund.

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