Bochum. . In zwei Wohngruppen des ehemaligen Kinderheims Overdyck leben 18 minderjährige Flüchtlinge. Sie zeigen sich hoch motiviert und hoffen auf ein Bleiberecht, wenn sie 18 Jahre alt geworden sind, schildert Heimleiterin Petra Hiller.

Jedes Jahr verlassen Tausende Minderjährige allein ihr Heimatland, um in Deutschland ein neues, besseres Leben zu beginnen. Sie kommen hierher, weil Gewalt, Armut oder unruhige politische Verhältnisse ihnen ein normales Aufwachsen zu Hause unmöglich gemacht haben. Ihre Familien haben oft alles Geld, was sie besaßen, einem Schlepper in die Hand gedrückt, damit dieses eine Kind, ihre Hoffnung, in Deutschland eine Chance auf ein besseres Leben hat.

18 dieser Kinder sind in den letzten sechs Monaten in Bochum gelandet. Seit einem knappen halben Jahr gibt es im Evangelischen Kinder- und Jugendheim Overdyck zwei Wohngruppen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Jungen und ein Mädchen haben hier ein vorläufiges Zuhause gefunden. Sie kommen aus allen Ländern dieser Erde, aus Ghana, Guinea, Marokko, Afghanistan, Pakistan.

EU-Kinderrechtskonvention

Jeder hat seine eigene Geschichte. Und nicht alle sind bereit, sie zu erzählen. „Viele brauchen Monate, bis sie sich uns gegenüber ein bisschen öffnen“, sagt Tobias Bzyl, der die Gruppe Windrose leitet. Einige, so Heimleiterin Petra Hiller, seien so stark traumatisiert, dass sie psychologische Hilfe bräuchten. Was jedoch alle gemein hätten, sei ihr Wille zu lernen und sich zu integrieren. „Alle sind überraschend hoch motiviert und leistungsorientiert“, erzählt Hiller. So schnell wie möglich gut Deutsch zu lernen sei ihr größtes Ziel. „Gut in der Schule zu sein und die Sprache ist ihnen das Wichtigste“, sagt die Leiterin. Da nicht alle der jungen Menschen vorher alphabetisiert waren, eine enorm große Aufgabe: „Wir vermuten, dass die Motivation damit zu tun hat, weil sie wissen, dass ihre Eltern all ihre Hoffnungen in sie gesetzt haben.“

Kaum einer der minderjährigen Flüchtlinge hat noch Kontakt zu seiner Familie. Einige wissen nicht einmal, ob ihre Eltern noch leben. Die Wohngruppe, meint einer der Jungen, sei seine neue Familie. Es ist jedoch eine Ersatzfamilie, die langfristig keine Sicherheit geben kann. Bis die Flüchtlinge 18 Jahre alt sind, schützt die EU-Kinderrechtskonvention sie davor, abgeschoben zu werden. Wenn sie aber, wie Kwame (Name von der Redaktion geändert), in Kürze 18 werden, kann es sein, dass sie das Land bald verlassen müssen.

Erste Station Auffanglager

Kwame kam vor einem Jahr nach Deutschland. Wie und warum genau wissen seine Betreuer bis heute nicht. Der Junge ist stark traumatisiert, war zu Anfang arg verschlossen. Nur langsam öffnete er sich seinem Betreuer Bzyl. Auch jetzt, als er mit leiser Stimme seine Geschichte erzählt, wandert sein Blick immer wieder zu dem Sozialpädagogen, der ihm aufmunternd zunickt.

Kwame kommt aus einem Land, in dem kein Krieg herrscht, die politische Lage aber auch nicht unbedingt stabil ist. Seine Mutter starb, als er klein war. Kwame ist das älteste von fünf Kindern, sein Vater war Lastwagenfahrer. Als der Junge eines Tages mit seinem Vater im Fußballstadion war, kommt es zu politischen Protesten. Was dann genau geschah, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Es fallen Schüsse, Kwame wird von seinem Vater getrennt. Der Junge erzählt, dass er sich nicht mehr nach Hause traute. Ob sein Vater tot ist, ist unbekannt. Ebenso, ob dieser vielleicht ein politischer Aktivist war. Sicher ist, dass der Junge davon ausging, dass sein Leben in Gefahr ist. Er wendet sich an einen Kollegen seines Vaters. Der besorgt ihm ein Flugticket. Tage später landet Kwame in Dortmund, kommt in ein Auffanglager. Sechs Monate später ist er in Bochum.

Geburtstag ohne Freude

Wer Kwame fragt, was ihm hier am besten gefällt, hört: „In die Schule gehen zu dürfen“. Wie die anderen Jugendlichen besucht der 17-Jährige in die internationale Förderklasse der Alice-Solomon-Schule. In dem Lernförderungsprojekt lernt er Deutsch und absolviert an zwei Tagen in der Woche ein Praktikum in einem Hotel. „Ich möchte Hotelfachmann werden“, sagt Kwame leise. Wenn, ja wenn er hierbleiben darf.

Im Heim mag keiner seine Chancen einschätzen. Und was dann wird, weiß auch keiner. „Ich habe keinen Kontakt zu meiner Familie“, sagt der Junge und schluckt. Ein hilfloses Lächeln zuckt über sein Gesicht. „Ich weiß nicht, was dann ist, ich will bleiben.“

Im Januar wird Kwame 18. Im Gegensatz zu anderen Jungen ist dieser Tag jedoch für den jungen Flüchtling kein Grund zur Freude.