Bochum. Angst soll vor Gefahr warnen - doch bei immer mehr Menschen nimmt sie Überhand und steigert sich ins Krankhafte. Die Liste möglicher Phobien ist ebenso lang wie zum Teil skurril. Um eine langfristige Heilung zu erreichen, sind oft Therapien nötig.

Angst ist ein Freund des Menschen, warnt und schützt ihn vor Gefahr. Doch für immer mehr Menschen wird Angst zum Feind. Jeder Vierte leidet einmal im Leben unter Angststörungen. „Sie sind mittlerweile die Nummer 1 bei psychischen Erkrankungen, noch vor Depressionen“, weiß Prof. Dr. Georg Juckel, Direktor des LWL-Universitätsklinikums.

"Soziale Phobien sind auf dem Vormarsch“

Neulich an der Alexandrinenstraße. Ein leitender – hier: leidender – Angestellter der Stadt sucht den Rat der Klinik-Psychiater. In einigen Wochen muss er einen Vortrag halten. Der Gedanke, in der Öffentlichkeit zu stehen, lässt ihn schon jetzt verzweifeln. „Derartige soziale Phobien sind auf dem Vormarsch“, beobachtet Dr. Juckel. Die Furcht vor Situationen, die Kontakt mit anderen Menschen erfordern, mache sich zunehmend auch im Alltag breit. „Das geht bis zum Kunden im Kaufhaus, der sich nicht überwinden kann, eine simple Frage an die Verkäuferin zu richten“, erklärt Fachärztin Dr. Jana Czymmek.

Beklemmung, in der Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen (Homilophobie), Angst vor dem Fliegen, vor Katzen und Hunden, Vögeln, Spinnen, engen oder großen Räumen, Dunkelheit, Erbrechen, Blut, Eisenbahnen, Frauen bzw. Männern, großen Höhen und engen Fahrstühlen, Schmutz und Menschenmengen: Die Liste möglicher Phobien ist ebenso lang wie zum Teil skurril.

Angst vor Erdnussbutter, die am Gaumen kleben bleibt

Wohl dem, der von der Arachibutyrophobie verschont wird: der (kein Scherz!) Angst vor Erdnussbutter, die am Gaumen kleben bleibt. Ballistophoben hingegen fürchten, von Feuerwerkskörpern erschossen zu werden Um Menschen bei der Bewältigung ihrer Angststörungen zu unterstützen, geht die LWL-Klinik auf Konfrontationskurs. Die Behandlung erfolgt, indem die Patienten den als Horror empfundenen Situationen Schritt für Schritt ausgesetzt werden.

Menschenkontakte und Fahrstühle gibt’s in der City zuhauf, drängende Enge in der U-Bahn, Höhe in vielen Gebäuden. Stets sind die Fachärzte dicht dabei. Doch in den meisten Fällen bleibt es nicht bei einer Phobie. „Häufig tritt eine generalisierte Angststörung auf: das ständige Sich-Sorgen-machen und die übersteigerte Angst, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte.

„Etliche Notarzt-Einsätze, ohne dass eine körperliche Ursache gefunden wird“

Einige Patienten leiden auch unter Panikattacken aus heiterem Himmel“, erklärt die Psychotherapeutin Dr. Franciska Illes und beschreibt den „Teufelskreis der Angst“: Herzrasen, flache Atmung oder Schwindel treten auf und lösen die Angst aus, schwer erkrankt zu sein oder gar zu sterben. „Etliche Notarzt-Einsätze resultieren aus dieser dramatisch erlebten Todesangst, ohne dass eine körperliche Ursache für die Beschwerden gefunden wird“, sagt Prof. Dr. Juckel.

Weitaus schwieriger ist es, die Krankheit langfristig zu heilen. „Die Betroffenen erlangen eine gewisse Perfektion darin, Vermeidungsstrategien zu entwickeln. Nicht selten wird zu Alkohol oder Tabletten gegriffen. Ein Problem ist auch die hausärztliche Versorgung. Allzu oft werden Beruhigungsmittel verschrieben, ohne zum Kern des Übels vorzudringen“, beklagt Juckel.

LWL-Universitätsklinik richtet stationäre Therapieplätze ein

Wird die Erkrankung erkannt, fehlt es nach wie vor an stationären Therapieplätzen. Immerhin hier wird die LWL-Universitätsklinik bald besser aufgestellt sein. Im Zuge des Erweiterungsbaus wird an der Alexandrinenstraße künftig eine stationäre Einheit für Patienten mit Angststörungen eingerichtet. Damit aus dem Feind wieder ein Freund wird.

Die WAZ bietet eine Telefonsprechstunde zu Angststörungen an. Am Mittwoch, 22. Juni, sitzen zwei Experten des LWL-Universitätsklinikums am Redaktions-Telefon:

Der Ärztliche Klinikdirektor Prof. Dr. Georg Juckel ist unter 0234/966 14 92 zu erreichen.

Dr. Jana Czymmek, Fachärztin für Psychologie und Psychotherapie, gibt unter 0234/966 14 99 Auskunft.

Wann ist Angst normal, gesund und schützend? Wann wird sie zum Problem, wann zur Krankheit? Die Fachmediziner beantworten alle Leser-Fragen rund um Angststörungen, Phobien und Panikattacken.

Vor allem bei der allgemeinen Angststörung – vielfach auch als „Sorgenkrankheit“ bezeichnet – suchen die Betroffenen nach Beobachtung der Fachärzte oft erst sehr spät ärztliche Hilfe. „Und das, obwohl der Leidensdruck oft sehr hoch ist“, weiß Prof. Juckel. Zusammen mit seiner Kollegin zeigt er den Anrufern Ursachen, Merkmale sowie ambulante und stationäre Behandlungsmöglichkeiten auf.

Die WAZ-Telefone sind am Mittwoch in der Zeit von 14 bis 15 Uhr geschaltet.