Essen. .
Bei einigen Müttern will der Babyblues nicht enden. Was anfangs noch relativ harmlos ist, kann in einer Wochenbettdepression enden. Betroffene sollten diese ernst nehmen - und sich kein schlechtes Gewissen einreden lassen.
Hanna Schusters* Sohn war ein Wunschkind. Seit Monaten hatte sie sich auf ihr erstes Baby gefreut. Doch als es endlich da war, fiel Schuster plötzlich in ein tiefes Loch: „Zuerst kam direkt nach der Entbindung der Babyblues - und der ging einfach nicht mehr weg. Ich fühlte mich niedergeschlagen, hatte Schlafstörungen und Probleme beim Stillen“, beschreibt Schuster ihre damalige Situation. Die junge Mutter war an einer Wochenbettdepression erkrankt.
Wie Hanna Schuster ergeht es vielen Frauen: „Aufgrund verschiedener Studienergebnisse gehe ich davon aus, dass bundesweit ungefähr 15 Prozent der Mütter nach der Geburt von psychischen Belastungen betroffen sind“, sagt Corinna Reck vom Zentrum für Psychosoziale Medizin am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Wochenbettdepression, auch postpartale oder postnatale Depression genannt, mache sich unter anderem durch ein Gefühl der Leere, Empfindungslosigkeit dem Kind gegenüber, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Zwangs- und Selbstmordgedanken bemerkbar. „Oft beginnen die depressiven Gefühle schon in der Schwangerschaft“, sagt Reck.
Dabei ist die Wochenbettdepression nicht mit dem sogenannten Babyblues zu verwechseln, der laut Reck ungefähr jede zweite Wöchnerin befällt. „Die Frauen sind kurz nach der Geburt traurig, reizbar und ängstlich“, beschreibt die Psychologin diese Art der depressiven Verstimmung, die meist zwischen dem zweiten und dem zehnten Tag nach der Geburt auftrete und nach einigen Tagen wieder verschwinde.
Frühzeitige Behandlung ist wichtig
Manchmal werde aus einem Babyblues jedoch direkt eine Wochenbettdepression - in anderen Fällen bleibe der Babyblues aus und trotzdem werde die Mutter innerhalb eines Jahres nach der Geburt psychisch krank. Wichtig sei, dass betroffene Frauen sich frühzeitig in Behandlung begeben. „Wenn man länger als zwei Wochen unter den beschriebenen Symptomen einer Wochenbettdepression leidet, spricht man von einer klinischen Depression“, sagt Reck. Spätestens dann sei es Zeit, sich Hilfe zu suchen, denn: „Alleine kommt man da kaum heraus“, betont die Psychologin.
Die erste Anlaufstelle könnten der Gynäkologe oder ein niedergelassener Psychologe oder Psychiater sein. „Die Erkrankung wird dann meist mit einer Verhaltenstherapie behandelt“, erklärt Reck. Auch die Gabe von Medikamenten, die das Stillen nicht beeinträchtigen, sei üblich. Die Psychologin leitet in Heidelberg eine spezielle Mutter-Kind-Einheit, in der betroffene Mütter und ihre Kinder betreut werden. Auch an anderen Kliniken gibt es spezielle Wochenbettdepressions-Stationen.
Bei Hanna Schuster war es letztendlich eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen, die ihr half, die Depression zu überwinden: „Die Leiterin meines Rückbildungskurses sprach mich zum Glück eines Tages auf meinen Zustand an und empfahl mir, mich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen“, berichtet sie. Die Gespräche mit anderen Müttern, aber auch Sitzungen bei Psychotherapeuten und nicht zuletzt regelmäßiger Sport halfen ihr langsam, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. „Als es mir neun Monate nach der Geburt schließlich besser ging, habe ich meine Wochenbettdepression außerdem in einer Mutter-Kind-Kur noch einmal intensiv aufgearbeitet“, berichtet Schuster.
„Eine Hauptursache für die Wochenbettdepression sind Vorerkrankungen“, sagt Corinna Reck. Wer schon mal an einer Depression oder einer Angsterkrankung gelitten habe, trage ein höheres Risiko, nach der Geburt einen Rückfall zu erleiden. Aber auch die immensen hormonellen Veränderungen in dieser Phase sowie eine traumatische Geburt und das damit verbundene Gefühl des Kontrollverlusts könnten die Erkrankung begünstigen. Dazu kommen Erschöpfung, Stress, Ängste und der Schlafentzug. „Junge Mütter werden durch die Versorgung ihres Säuglings häufig an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht“, betont Reck.
Austausch mit anderen Betroffenen entlastet
„Ich dachte, wenn das Baby auf der Welt ist, bin ich einfach nur noch erfüllt vom Mutterglück - und dann blieb das Mutterglück einfach aus“, erinnert sich Melanie Weimer aus Frankfurt am Main an ihre eigene Wochenbettdepression nach der Geburt ihres ersten Kindes. Auch Weimer machte die Erfahrung, wie erleichternd der ehrliche Austausch mit anderen Frauen ist, die Ähnliches durchgemacht haben. „Es tut gut zu hören, dass auch in anderen Familien nicht immer alles rosig ist“, sagt die Pädagogin. Nachdem sie die Krankheit überstanden hatte, übernahm Weimer daher den Vorsitz der Selbsthilfegruppe „Blues Sisters“ und berät seither Frauen, die nach der Entbindung mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.
Wichtig sei, dass Mütter während der Wochenbettdepression so viel Entlastung wie möglich erhielten, betont Melanie Weimer: „Man sollte beispielsweise dafür sorgen, dass man genügend Schlaf bekommt und Zeit hat, auch mal einen Spaziergang zu machen und Kraft zu tanken.“ Sie empfiehlt Betroffenen, sich außerdem zu überlegen, was ihnen jetzt gut tun würde und ob Familie und Freunde ihnen Unterstützung bieten könnten.
Auch für das Umfeld sei die Situation nicht leicht. „Partner erkennen ihre Frau meist gar nicht wieder. Sie wissen nicht, was mit ihr los ist und reagieren hilflos“, sagt Weimer. Die betroffenen Mütter bräuchten vor allem viel Verständnis und Geduld. „Auf keinen Fall sollte man versuchen, sie mit rationalen Argumenten wie „Aber es ist doch alles in Ordnung!“ umzustimmen“, betont Weimer. Auch die Angehörigen müssten akzeptieren, dass eine Wochenbettdepression eine Krankheit sei, die nun einmal nicht so leicht wieder weggehe.
Die negativen Gefühle wollen so gar nicht zu dem Mutterbild passen, das Werbung und Medien vermitteln. „Ich hatte damals das Gefühl, ich hätte gar kein Recht, unglücklich zu sein“, berichtet Weimer. Die Mütter versuchen daher häufig, ihre Erkrankung, so gut es geht, zu verheimlichen. Doch das Bestreben, dem Klischee der immer glücklichen Mutter zumindest nach außen hin zu entsprechen, koste zusätzlich wertvolle Kraft. Betroffene Frauen machten sich außerdem meist große Vorwürfe und hielten sich für schlechte Mütter. „Um ihren Zustand zu kompensieren, legen sie sich oft besonders ins Zeug und versuchen, rund um die Uhr für das Kind da zu sein“, sagt Weimer. Die Patientinnen bräuchten daher von den Menschen in ihrem Umfeld vor allem ganz viel Bestätigung, dass sie das Recht haben, sich um sich selbst zu kümmern. „Man muss ihnen deutlich machen: Wenn du dir selbst etwas Gutes tust, tust du auch deinem Kind etwas Gutes.“ (dapd)
(*Name von der Redaktion geändert)