Bochum. „Wem es richtig schlecht geht, wird noch zusätzlich bestraft“: Bochumer Eltern sind empört. Sie müssen auf das Kindergeld für ihre schwerbehinderten Söhne und Töchter verzichten - zu Gunsten der Stadtkasse.

Maximilian (25) ist spastisch behindert, arbeitet in der Werkstatt Constantin und lebt daheim. Seine Mutter Petra Witt (50) bezog neben der Grundsicherung für ihren Sohn (505 Euro) immer auch Kindergeld. Seit November 2010 muss sie ohne die monatlich 184 Euro von der Familienkasse über die Runden kommen. Wie auch Wolfgang Wirtz (60), dessen Sohn Stefan (30) unter dem Down-Syndrom leidet. Wie auch Sybille Jaehnig, deren Tochter Sabrina (22) geistig behindert ist.

Wie bei weiteren Familien in Bochum hat das Sozialamt bei den Witts, Wirtz’ und Jaehnigs einen „Abzweigungsantrag“ an die Familienkasse gestellt. Das ist seit 2008 möglich. Als Grundlage wird eine Entscheidung des Finanzgerichts Münster (AZ 8K 2812/09) angeführt. Berührt sind Eltern behinderter Kinder, die volljährig sind und Grundsicherung beziehen. Können die Eltern keine zusätzlichen Kosten geltend machen, unterstellt das Sozialamt, dass mit Zahlung der ,Stütze’ sämtliche Ausgaben für den Lebensunterhalt des Behinderten gedeckt sind – und beansprucht das Kindergeld für sich. Die Familienkasse zweigt die Zahlung auf Antrag an die Stadtkasse ab.

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„Die Anträge der Sozialämter häufen sich“, heißt es auf der Internetplattform „Intakt“ für Eltern von Kindern mit Behinderungen. Die Familienkasse unter dem Dach der Agentur für Arbeit kann auf WAZ-Anfrage keine Zahlen nennen. Sprecherin Anja Greiter: „Die Initiative geht stets vom Sozialamt aus. Wir prüfen den Antrag. Er muss schlüssig und nachvollziehbar sein. Es kommt durchaus vor, dass ein Antrag abgelehnt wird oder das Kindergeld zwischen Stadt und Eltern geteilt wird.“

„Dass die Stadt mit ihrem maroden Haushalt ausgerechnet bei uns sparen will, empfinden wir als unsozial, unsolidarisch und ungerecht“, tut Petra Witt, Wolfgang Wirtz und Sybille Jaehnig der Verzicht auf jährlich 2208 Euro „richtig weh“. Zwar sei es möglich, dass die erwachsenen Kinder direkt das Kindergeld erhalten. „Das würde aber als Einkommen gewertet und wie der 100-Euro-Monatslohn, den die Behindertenwerkstatt zahlt, auf die Grundsicherung angerechnet. Ein Nullsummenspiel“, erklärt Wirtz.

Vorsicht geboten

Vorsicht sei auch beim Angebot der Behörden geboten, das Kindergeld gegen einen exakten Nachweis der Aufwendungen zumindest teilweise fortzuzahlen. „Auch manche dieser Ausgaben können die Grundsicherung reduzieren“, warnt Petra Witt, die die Zahl der betroffenen Familien in Bochum auf 600 schätzt. Das Sozialamt spricht von lediglich 100 Fällen.

Am 21. März, vier Tage vor einem ersten Urteil in Dortmund, treffen sich Vertreter der Revier-Sozialämter, um über ihr weiteres Vorgehen beim Kindergeld für Behinderte zu beraten.