Bochum.
Von der glücklichen Familie zur Privatinsolvenz: Die Weihnachtsgeschichte des Bochumer Ehepaares Böning kündet vom sozialen Abstieg, wie er viele getroffen hat und treffen kann.
Die Fotos zeigen lachende Kinder, Eltern, Großeltern; im im Garten, an der Kaffeetafel. 30 Jahre ist das her. Für Elke und Wolfgang Böning „unsere glücklichste Zeit. Von da an ging’s bergab“, sagen die Eheleute, die ihren Niedergang öffentlich machen wollen. „Aufschwung, Konsumfreude, sorgloses Rentnerdasein: Dieses Gerede darf doch so nicht stehenbleiben! Bei vielen Menschen bleibt nichts übrig. Nur: Die meisten schweigen.“
Die Wohnung der Bönings ist gemütlich eingerichtet. Trautes Heim. Bastelarbeiten. Adventskranz. Doch in den Kaffee- und Kerzenduft mischt sich alsbald der schale Geruch von Traurigkeit und Verzweiflung. Die Idylle: nur Fassade. „Es gab Momente, in denen wir an Selbstmord dachten“, sagt Elke Böning.
Der Beginn des Leidensweges
Die Fotos, die sie aus dem Schrank holt, stammen aus den 80er Jahren, einer Welt, die für die Böning noch in Ordnung ist. Seit 1971 sind sie verheiratet. Er hat als Buchhalter an der Ruhr-Uni eine sichere Anstellung als Landesbediensteter. Sie hat ihren Beruf als Einzelhandelskauffrau aufgegeben, um sich um Tochter Jacqueline und Sohn Pierre zu kümmern. Sie leben zur Miete im Haus seiner Eltern an der Rittershausstraße in Laer. Sozialer Abstieg? Undenkbar.
„Wir möchten Euch das Haus überschreiben.“ Wolfgang Böning betrachtet diese Offerte seiner Eltern heute als Beginn des Leidensweges. „Wir nahmen das Angebot gerne an. Doch schnell mussten wir erkennen, wie marode das Gebäude war.“ Trotz ihres knappen Budgets gehen die Eheleute in die Vollen. „Es sollte unser Lebenswerk sein.“ Zwei Geschwister verlangen ihren Pflichtteil. Mit Krediten werden Umbauten und Renovierungen bezahlt. Ein Fass ohne Boden. Der Traum von den eigenen vier Wänden wird zum Albtraum. „1993 war es aus. Wir mussten verkaufen.“
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Am Alten Werner Hellweg erwerben die Bönings ein Einfamilienhaus. Alle vier Eltern werden pflegebedürftig. Elke Böning hat einen Vollzeitjob als Hausfrau, Mutter, Pflegerin. Der Stress verursacht Rückenleiden und Tinnitus. Als Mitverdienerin fällt sie aus. Wolfgang Böning erleidet 2000 einen Herzinfarkt. Nach sieben Jahren ist auch dieses Haus nicht mehr zu halten.
Am Hustadtring entdecken die Bönings eine „schöne Wohnung“. Merkwürdig nur: Es brummt. Als Elke Böning über Herzrhythmusstörungen klagt, wird ein Gutachter beauftragt. Der macht Stromzähler hinter der Wohnzimmerwand für Elektrosmog verantwortlich. Nichts wie raus!
An der Adelagasse finden die Bönings ein neues Zuhause. Doch: „Schimmel im Schlafzimmer fraß sich durch die Schrankwand. Der Schaden ging in die Tausende. Wir zogen vor Gericht - und verloren. Angeblich waren wir Schuld. Unfassbar.“
Lebenslabyrinth hat tiefe Spuren hinterlassen
Seit 2008 wohnen die Bönings im Rehwinkel. Das Lebenslabyrinth hat tiefe Spuren hinterlassen. Der 63-jährige Frührentner ist herz-, zucker- und nervenkrank. Die 58-Jährige leidet an Rheuma und Bronchitis. Eine Privatinsolvenz läuft. „Unsere Renten machen 1500 Euro aus. Davon gehen allein 700 Euro für die Warmmiete weg.“ Der 19 Jahre alte Audi muss halten. Der geliebte Mallorca-Urlaub? Zuletzt 2001. Kino, Theater, Restaurant? Ach was. „Als Hausfrau sehe ich: Alles wird teurer. Der Teuro hätte nie kommen dürfen. Dann die vielen Zusatzausgaben! Für eine Zahnprothese stottere ich gerade 700 Euro Eigenanteil ab“, schildert Elke Böning.
Ihr Fazit: „Nach Jahrzehnten Maloche und Aufopferung leben wir nur noch, um zu existieren. Wir leisten uns nichts - und kommen doch kaum über die Runden. Und wir sind nur zwei von vielen. Wir müssten alle zusammen aufschreien!“
Die Bönings fangen heute damit an - und wollen auch 2011 den Mund aufmachen.