Bochum.
Alternative Räume: Von der Lust und der Not des nomadischen Kulturschaffenden in Bochum. Die alternative (Um)Nutzung und Aneignung von Räumen hat Konjunktur.
Kulturschaffende agieren in Bochum immer nomadischer. Theater im Tonnengewölbe unter der Bahnlinie, Kunst in verfallenen Fabrikgebäuden, in Ladenlokalen und alten Ruinen, ein Kubus aus Plastik, in dem im Kirchenraum Musik gemacht wird, eine einmalige Nonstop-Lesung, die stattfindet im Museum oder das spätsommerliche, innenstädtische T.A.I.B., eine Zeltkonstruktion, dort, wo eines Tages die Kreativwirtschaft ein festes Dach über dem Kopf bekommen soll.
Ist es die Not, das Nichtvorhandensein „passender Orte“, die dafür sorgt? Oder ist es die Lust an der Aneignung fremder Umgebungen, an der freien Optimierung von Gegebenheiten, ohne den Zwang vorgefundener Strukturen. Falls ja, ist das dann eine qualitative Abkehr von den einstmaligen Wünschen der Szene, sich zu konzentrieren, Kräfte zu bündeln und für das Publikum zu etablieren? Noch bei Bochumer Kulturorten wie dem Bahnhof Langendreer oder dem prinz regent theater waren es am Anfang noch die Wünsche mehrerer Beteiligter, einen gemeinsamen Ort zu haben, den sie den manifesten Institutionen des Mainstreams quasi entgegensetzen konnten.
Not oder Lust?
Die Frage, Not oder Lust, ist nicht eindeutig beantwortbar. so berichtet etwa Benno Boudgoust, Leiter des „Theater der Gezeiten“ von der Lust im Fabrikgebäude an der Diekampstraße Theater zu machen. Doch „wenn das hier so bleibt, bin ich Ende des Jahres weg“. Gemeint ist das Fehlen von Strom, Wasser und Heizung. Unzumutbar eben, selbst für die Kunst. Auch das Rottstr5-Theater liebt sein Tonnengewölbe, eine wahrlich besondere Bühne. Hier könnte aber bald Schluss sein, wenn keine ökonomische Hilfe kommt, so hört man.
Eine andere Frage ist jene der Etablierung. Jeder neue Kunstort hat mit Schwellenängsten von Besuchern zu kämpfen. Damit hat zurzeit das Netzwerk zu tun, das in der Christuskirche versucht, die Reihe „Urban Urtyp“ zu installieren. Einmal im Monat finden hier in der architektonisch so hoch gelobten Christuskirche avancierte Konzerte statt. Intensiv hat das Netzwerk aus Partyveranstaltern, dem Hausherrn, Jungarchitekten und vielen Musikfans daran gearbeitet, dem Kirchenraum eine Struktur angedeihen zu lassen, der ein intimes Clubgefühl in einem offenen Kirchenraum entstehen lässt, ohne dessen Aura auszublenden. Mit einem Plastikkubus aus transparenten Lamellen ist das sehens- und auch hörenswert gelungen.
Ästhetisch ist das nomadische dieser freien Kulturszene interessant - und schon lange durchexerziert: die Eroberung der Zechen durch die (Jugend)Kultur lang schon vollzogen. Wer sich seinen Raum sucht, geht ein Risiko ein. Früher, so scheint es, hatte das bessere Erfolgsaussichten.