Bochum. In Bochum hat sich 2009 ein Bündnis gegen Depression gegründet, das am 6. März seine Arbeit aufnimmt. Ziel ist es, die Krankheit bekannter zu machen sowie mehr Zeit für die Therapie einzufordern. Im Interview sprachen zwei Mediziner über Behandlungschancen und das Krankheitsbild.

Depressionen – eine Krankheit, die fatale Folgen haben kann. Dazu eine Volkskrankheit, was zeigt: Depressionen sind mitten unter uns. Über Behandlungschancen und das Krankheitsbild äußerte sich eine Gesprächsrunde aus Prof. Dr. Georg Juckel, Dr. Jürgen Höffler und Holger Rüsberg im WAZ-Interview. Kirsten Simon hat das Expertengespräch aufgezeichnet.

Was kann das neue Bündnis gegen Depression leisten?

Prof. Georg Juckel: Wir möchten noch mehr Betroffene, Angehörige und außerdem außenstehende Bürger erreichen und die Bedeutung von Depressionen stärker ins Bewusstsein bringen. Es geht auch ums Vorbeugen, um die prophylaktische Arbeit. Wir wollen den Austausch der Betroffenen untereinander ankurbeln und die Selbsthilfe fördern. Dr. Jürgen Höffler: Das Bündnis soll kein Expertenclub sein. Je mehr sich bürgerschaftliches Engagement entwickelt umso besser. Es ist ein Verein, jeder kann mitmachen.

Sind Depressionen tatsächlich so weit verbreitet wie zu hören ist?

Juckel: Jeder Fünfte erkrankt ein Mal in seinem Leben an einer klinisch behandlungsbedürftigen Depression. Depressionen sind eine lebensgefährliche Volkskrankheit, die mit dem Tod enden kann. 10 bis 15 Prozent der Betroffenen sterben durch einen Suizid. Holger Rüsberg: Wichtig ist die Erkenntnis, dass Depressionen behandelbar sind. Mit Medikamenten und psychotherapeutisch. Dabei ist ganz entscheidend, dass die Krankheit möglichst früh erkannt wird. Wir setzen da auf die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten und mit den Beratungsstellen.

Welche Ursachen gibt es für Depressionen?

Juckel: Gründe gibt es viele: Arbeitslosigkeit zum Beispiel oder ernste private Probleme. Man kann das nicht pauschalisieren, Depressionen haben viele Gesichter. Das Krankheitsbild ist nicht unbedingt genetisch vorprogrammiert, aber Veranlagung spielt schon eine Rolle. Es gibt Menschen, bei denen die Depression aus heiterem Himmel auftritt: Meine erste Patientin vor Jahren ist nachts aufgestanden und hat sich plötzlich mehrfach ein Messer in den Bauch gerammt. Höffler: Rund zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen. Grundsätzlich liegt die Suizidrate bei alten Menschen höher. Bei allein stehenden Männern über 80 ist die Suizidrate am höchsten. Rüsberg: Mit der Bündnisarbeit möchten wir den Betroffenen und Angehörigen Alternativen zeigen, ihnen klar machen, welche Selbsthilfemöglichkeiten und Behandlungsmethoden es gibt und dass diese erfolgreich sind.

Was müsste sich denn aus medizinischer Sicht noch verbessern?

Juckel: Neben unserer Forderung, dass die Selbsthilfe ein noch stärkeres Fundament bilden muss, benötigen wir auch dringend mehr Zeit für die Psychotherapie. Das ist keine Fünf-Minuten-Medizin. Um den Patienten zu helfen, brauchen wir Zeit. Es kann nicht angehen, dass die Wartezeit für einen Termin ein halbes Jahr beträgt oder für einen Therapieplatz sogar bis zu zwei Jahre. Die Zahl der Psychotherapeuten ist gesetzlich gedeckelt. Es müsste mehr geben.

Wieviel Zeit benötigen Sie denn durchschnittlich für eine komplette Psychotherapie?

Höffler: Bei einer ambulanten Psychotherapie kommen wir in der Regel mit 25 bis 30 Sitzungen zu jeweils 50 Minuten aus. Rüsberg: Um den Patienten Wege zu zeigen, wie sie mit Problemen umgehen können, braucht das schon eine Zeit. Juckel: Wir haben keine Wunderpille. Die Seele ist ein komplexer Mechanismus.