Dortmund. Immer mehr Kinder und Jugendliche erkranken an einer Depression. Die Ursachen sind vielfältig. Besonders häufig sind Kinder alleinerziehender Mütter betroffen, so Dr. Pia Leimann, Chefin der Dortmunder Elisabeth-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Schulstress, Überforderung oder Mobbing können die Ursache sein. Streit oder Trennung der Eltern. Krankheit und Tod in der Familie. Liebesentzug oder die Annahme, nicht mehr geliebt zu werden. Oder die genetische Anlage... Es sind viele Umstände, die Kinder in eine Depression führen können. Gut 40 Prozent der Patienten in der Elisabeth-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, werden auf diese Krankheit behandelt. Als Haupterkrankung oder als Begleiterscheinung einer anderen Krankheit. „Und es werden immer mehr”, sagt Klinik-Chefin Dr. Pia Leimann.

Ob das an einer sensibleren Wahrnehmung liegt, oder es tatsächlich eine starke Steigerung der Krankheit gibt, sei dahingestellt. Jedenfalls sind es Kinder, die ihren Alltag nicht mehr bewältigen. Die dem Druck nicht mehr gewachsen sind. Die ihre sozialen Kontakte verlieren. Die sich verweigern. Und deren psychische Veränderung die Eltern mit großer Sorge beobachten. Oft mit der Hoffnung, dass man diese Zeit als pubertäres Intermezzo nach einigen Monaten abhaken kann. „Jungen reagieren aggressiv, Mädchen ziehen sich eher zurück”, erklärt Leimann.

Chronischer Stress

spielt eine große Rolle

Selten seien einmalige Katastrophen Auslöser der Krankheit. „In den überwiegenden Fällen spielen chronische Stressfaktoren eine große Rolle.” Und: Besonders häufig sind Kinder alleinerziehender Mütter betroffen.

Kinder können diese Krankheit nicht beim Namen nennen, ihren Zustand schlecht definieren. Und auch die Eltern stochern oft im Nebel. Wer denkt an Depressionen, wenn Kinder unter Schlaf- und Essstörungen, Stimmungslabilität, Traurigkeit, Konzentrationsmangel, vermindertem Selbstvertrauen oder negativem Denken leiden. „Gerade in einer Lebensphase, in der Kinder sich orientieren wollen und nach ihrer Position suchen, werden sie täglich von negativen Nachrichten überflutet”, sagt Leimann. Wenn dann nicht zu lösende Probleme dazu kommen, ist professionelle Hilfe gefragt. Bei Selbstmordgedanken sei eine sofortige Klinik-einweisung unumgänglich.

Bei Lena war es so. Nach einem Wohnungswechsel in ein anderes Bundesland konnte die 15-Jährige in der neuen Schule nicht richtig Fuß fassen. Das ehrgeizige Mädchen, vorher unter den Top-Five, brach ein. Die gesteckten Ziele erschienen unerreichbar. Schwindel, Schlafstörungen, Magenprobleme, nächtliches Grübeln... Die Familie war intakt, wollte sie auffangen. Aber auch lange Gespräche mit der Mutter konnten nicht überzeugen. Lena wurde immer stiller. So still, dass die Eltern Schlimmes befürchteten.

„Bei Suizid-Gefährdeten geht es erst einmal um Vertrauen”, sagt Leimann. „Und nur wenn der Patient sich sperrt, wenn gar nichts mehr geht, erhält er Medikamente.” Viel Auswahl gäbe es da nicht. „Im Moment sind es nur zwei, die unseren Anforderungen standhalten.” Nach Absprache mit den Eltern wird deshalb auch schon mal in die Pillen-Kiste für Erwachsene gegriffen. 

Anderer Blickwinkel

für Kinder und Eltern

„Depressionen entstehen durch eine verringerte Konzentration von Botenstoffen wie Serotonin und Noradrenalin in den Synapsen”, erläutert Leimann. Hier setzen die modernen Anti-Depressiva an. Sie bewirken, dass die Stoffe schneller aufgenommen werden und länger in den Nervenzellspalten verbleiben.

Zwischen acht und zwölf Wochen dauert der stationäre Aufenthalt in der Regel. Für Langeweile bleibt keine Zeit: Täglich wird in der Klinik-Schule in kleinen Gruppen unterrichtet. Dazu kommen Einzel- und Gruppen-Therapie, Familien-Gespräche, Ergo- und Musik-Therapie, Ausflüge. „Wir hoffen auf die Plastizität der kindlichen Psyche. Kinder blühen auf, wenn sie Entlastung spüren.” Für die Eltern gibt es pädagogische Abende, an denen alles mögliche aufs Tapet kommt: Gewalt, Ernährung, Leistung, Alkohol, Taschengeld. „Es wird nicht nur auf Defizite geschaut. Wir suchen die positiven Ressourcen”, so Leimann.

Ist das Kind mal erst aus der Familie, macht der Abstand vieles möglich. Jeder könne sich vom anderen erholen. „Kinder wie Eltern bekommen einen anderen Blickwinkel.”

Die Belastungsprobe kommt am Wochenende. Dann dürfen die Patienten nach Hause. „Die Eltern schreiben Positives und Negatives an diesen Tagen auf. Dann sehen wir, was für Veränderungen es gibt.”

Lenas Zeit ist fast um. Gespannt, aber positiv blickt sie in die Zukunft. „Wir freuen uns auf dich...” hat ihr ihre Klassenlehrerin in einem einfühlsamen Brief geschrieben.