Bochum. Nach einem Arbeitsunfall musste einem 36-Jährigen das Bein amputiert werden. So kämpft er sich im Bochumer Bergmannsheil zurück ins Glück.

Für Rolf Thiede ist der 26. April 2023 „ein ganz normaler Tag“. Im Metallbetrieb in Altena tritt der Anlageführer mittags seine Spätschicht an. Kurz danach ist nichts mehr, wie es war. Rolf Thiede wird bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt. Mit einer Beinprothese hat er sich zurück ins Leben gekämpft. „Er hat richtig Gas gegeben“, sagt Dr. Sven Jung, Chefarzt im Bochumer Bergmannsheil, voller Respekt.

Die genauen Umstände des Unfalls wurden nie geklärt. Rolf Thiede vermutet aber, dass es seine eigene Unachtsamkeit war, die dazu führt, dass sich an jenem 26. April eine 1,6 Tonnen schwere Stahlrolle (Coil) vom Haken eines von ihm gesteuerten Lastenkrans löst. „Das hat auch etwas Gutes. Ich muss dafür keinen anderen verantwortlich machen. Nur mich.“

1,6 Tonnen schweres Metallteil kracht auf Fuß des Arbeiters

Der Koloss kracht aus mehreren Metern Höhe auf seinen linken Fuß. „Ich schaute hinab und wusste: Der Fuß ist weg“, schildert der Facharbeiter.

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Unter höllischen Schmerzen wird der 36-Jährige mit einem Rettungshubschrauber ins Klinikum Dortmund-Nord geflogen. Nach zwei Wochen habe er vor der Wahl gestanden: Hauttransplantation mit ungewissem Ausgang oder Abtrennung des Beines unterhalb des Kniegelenks? Auf Anraten der Ärzte entscheidet sich Thiede für eine Amputation.

Täglich bis zu sechs Stunden Mammutprogramm im Bergmannsheil

Am 11. Mai, einen Tag vor seinem Geburtstag, wird die Operation in Dortmund vorgenommen und die Prothese angepasst und eingesetzt. Zwei Wochen später wird Thiede ins Bochumer Bergmannsheil verlegt. Die Berufsgenossenschaftliche (BG) Klinik ist spezialisiert auf die Behandlung und Therapie bei Arbeitsunfällen. Deren Zahl ist erschreckend hoch. Dr. Sven Jung, Chefarzt der Reha-Abteilung, spricht von jährlich 2000 Menschen, die allein in Bochum versorgt werden: nach Wegeunfällen mit dem Auto, nach schlimmsten Unglücken unmittelbar am Arbeitsplatz.

Für Rolf Thiede beginnen zehn Wochen, die mutmaßlich die härtesten seines Lebens sind. „Integrierte Rehabilitation“ nennt sich das täglich vier- bis sechsstündige Mammutprogramm mit Laufübungen, Ergo- und Physiotherapie und seelischem Beistand vom Psychologen.

Chef hat sofort gesagt: „Keine Sorge, du kommt wieder!“

Rolf Thiede meistert alle Herausforderungen mit Bravour, bescheinigt Dr. Jung. Der Sauerländer, Typ Kerl wie ein Baum, verhehlt nicht: „Anfangs war ich ganz unten im Loch. Manchmal dachte ich: Das Leben ist vorbei, ich werde für immer ein Pflegefall sein.“ Doch immer wieder habe er neuen Mut geschöpft, neue Kraft getankt. Denn: „Es ging stetig bergauf.“

Dankbar ist er der BG-Klinik, nicht nur für die medizinische und therapeutische Hilfe, sondern auch für die finanzielle Unterstützung: „Allein die Prothese kostet mehr als 20.000 Euro.“ Wichtigen Beistand habe seine Verlobte geleistet. Und sein Chef. „Der hat mir direkt nach dem Unfall gesagt: ,Wir schaffen das, mach dir keine Sorgen, du kommst wieder!‘“

Mit Physiotherapeutin Britta-Marie Auer trainiert Rolf Thiede einmal im Monat im Bergmannsheil. Das Laufen mit der Prothese fällt ihm nicht mehr schwer.
Mit Physiotherapeutin Britta-Marie Auer trainiert Rolf Thiede einmal im Monat im Bergmannsheil. Das Laufen mit der Prothese fällt ihm nicht mehr schwer. © FUNKE Foto Services

Chefarzt ist beeindruckt: „Das erleben wir hier auch ganz anders“

Stimmt. Anfang des neuen Jahres wird Rolf Thiede an seinen Arbeitsplatz zurückkehren, schrittweise im Rahmen einer Eingliederung. Mit der Prothese kommt er prima zurecht, kann Auto fahren (statt mit Schalt- nun mit Automatikgetriebe), längere Strecken zu Fuß zurücklegen. Kein Zweifel, dass er auch als Anlageführer seinen Mann stehen wird. „Tragen, ziehen, drücken, heben: Das alles geht ja wieder.“

Chefarzt Jung muss er nicht überzeugen. „Großartig, wie er diesen Schicksalsschlag annimmt und sich ins Leben zurückgekämpft hat. Das erleben wir hier mitunter auch ganz anders“, würdigt er seinen tapferen Patienten, der nur noch einmal im Monat zur Nachsorge nach Bochum reisen muss.

Nur mit dem Skateboardfahren könnte es schwierig werden

Was ihm noch zu schaffen macht? Der Phantomschmerz im linken Bein. „Es kribbelt und kitzelt, aber man kann nicht kratzen.“ Ob er etwas nicht mehr kann? Rolf Thiede denkt kurz nach. „Skateboardfahren wird schwierig“, sagt er und lacht. Wenn‘s mehr nicht ist...