Bochum. Klaus Schmitt ist der letzte Mieter eines Schrotthauses in Bochum. Er ist lebt dort seit der Kindheit und will nicht weg. Nun droht ein Ende.
„Die Stadt geht über Leichen. Das können Sie genau so schreiben“, sagt Klaus Schmitt. Traurig ist sein Blick, verzweifelt sein Appell. Um jeden Preis will er in dem Haus wohnen bleiben, in dem er geboren ist und das er seit 73 Jahren nie verlassen hat. Doch ein Einschreiben der Stadtverwaltung lässt keinen Zweifel. Darauf steht: „Aufforderung zur Räumung.“
Verwahrlost wirken die vier Wohnhäuser an der Kohlenstraße 135 bis 141. Die Eingänge notdürftig verrammelt, viele Fenster zerborsten, die Fassaden beschmiert. Als „Schrottimmobilien“ stehen sie auf der roten Liste der Stadt, freigegeben zum Abriss, und das schon seit mehr als fünf Jahren. Eine verwitterte Leuchtreklame erinnert an ein „Stehcafe“. „Achtung, Einsturzgefahr!“, warnen Hinweisschilder.
Räumungsklage: Mieter hat sein Geburtshaus in 73 Jahren nie verlassen
Drei der vier Häuser stehen seit Jahren leer. Nur in Nummer 135 brennt noch Licht. „Hallo“, sagt Klaus Schmitt und öffnet die marode Haustür. Seinen Namen dürfe der Reporter schreiben, sagt er. Auch seinen Hund Flitzi dürfen wir zeigen. Sein Gesicht jedoch wolle er nicht in der Zeitung sehen.
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1949 waren seine Eltern in das Wohnhaus eingezogen. „Es wurde im Jahre 1948 mit einfachsten Materialien aufgrund der damaligen prekären Versorgungssituation nach dem 2. Weltkrieg errichtet“, teilt die Stadt mit. 1950 kam Klaus Schmitt zur Welt. „Seither bin ich hier zu Hause“, sagt der Bochumer, der bis zur Rente als Fernmeldetechniker arbeitete.
Buchautor: Klaus Schmitt ist der letzte Bewohner des Heusnerviertels
Der Niedergang habe in den 80er Jahren mit dem Abriss des benachbarten Heusnerviertels begonnen, glaubt Schmitt. „Da kamen die Besetzer hier her.“ Damals war das Wohnviertel Schauplatz einer der größten und erbittertsten Hausbesetzungen in Deutschland, mit Krawallen, Demonstrationen, Abbruch unter Polizeibewachung.
Das Heusnerviertel ist Vergangenheit. Über das Areal verläuft heute der Donezk-Ring, ehemals Westtangente genannt. Die vier Gebäude an der Kohlenstraße 135 bis 141 stehen noch immer. „Sie stellen – bis auf das Thealozzi – den letzten Rest des früheren Heusnerviertels dar“, erklärt Johannes Habich, Autor des Buches „Westtangente und Heusnerviertels – ein Brennpunkt der Bochumer Stadtgeschichte“. „Klaus Schmitt ist also der letzte Bewohner des ganzen Heusnerviertels!“
Stadt will mit Abriss Platz für gewerbliche Nutzung schaffen
Damit soll es bald vorbei sein. „Die Gebäude auf dem Grundstück sollen nach Auszug des letzten Mieters zeitnah abgebrochen werden. Entsprechende Vorbereitungen sind u.a. zur Gefahrenabwehr eingeleitet worden“, teilt die Stadt als Eigentümerin auf WAZ-Anfrage mit. Die Flächen sollen – wie schon der gesamte Bereich – „einer gewerblichen Nutzung zugeführt werden. Wohnbebauung soll dort, auch aufgrund der Nähe zur benachbarten Autobahn, nicht mehr stattfinden“.
2019 erhielt Klaus Schmitt die Kündigung. 2021 folgte die Räumungsklage. Schmitt wehrte sich – und scheiterte. Im September wies das Landgericht seine Berufung zurück. „Damit liegt (...) ein sofort vollstreckbarer, rechtskräftiger Räumungstitel vor“, unterstreicht das Rathaus. Bis zum 7. Dezember muss Klaus Schmitt das Haus verlassen haben. Sonst werde ein Gerichtsvollzieher eingeschaltet.
Mieter betont: Es geht um den Erhalt von günstigem Wohnraum
„Lost at Kohlenstraße“: Der einsame Kampf des Klaus Schmitt scheint juristisch verloren. Aufgeben will der letzte Bewohner dennoch nicht. Dabei gehe es ihm nicht um die billige Miete: Gerade mal 100 Euro zahle er für die 70 Quadratmeter im 2. Obergeschoss; so wenig, dass er auch die ehemalige Wohnung seiner vor sechs Jahren verstorbenen Mutter im Erdgeschoss weiter angemietet habe, um dort später einmal einzuziehen. Auch die 20.000 Euro, die ihm die Stadt vor dem Gerichtsverfahren nach eigenen Angaben für einen Auszug angeboten habe, schlage er in den Wind.
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„Mir geht es um den Erhalt von preisgünstigem Wohnraum, der in Bochum dringender denn je fehlt“, sagt Klaus Schmitt und blickt entschlossen drein. „Die Häuser hier wurden in all den Jahren von der Stadt heruntergewirtschaftet, haben aber alle noch eine solide Substanz. Es gäbe sicher viele Menschen, gerade Familien und Senioren, die hier nach einer Renovierung günstig wohnen wollen, auch wenn es eine Insellage am Rande des Industriegebietes ist. Immer mehr Büroflächen braucht in Bochum doch niemand!“
73-Jähriger bekräftigt: „Ich gehe hier nicht fort, niemals!“
Im WAZ-Gespräch bekräftigt Klaus Schmitt, dass er das Feld freiwillig nicht räumen wird: „Ich gehe hier nicht fort, niemals!“ Welche Option dann bleibt? „Das können Sie sich doch denken, oder?“, sagt er verbittert, bevor er die marode Haustür wieder schließt, bevor ihn die selbst gewählte Einsamkeit wieder verschluckt.