Bochum. Der 17-jährige Nils ist Asperger-Autist und der erste „Fachpraktiker Elektroniker“-Azubi in Bochum. Mit Behinderung zum Traumberuf – das geht.
- Nils Fichtner ist der erste Azubi zum „Fachpraktiker Elektroniker“ in Bochum
- Der 17-Jährige aus Laer hat eine Asperger-Spektrumsstörung
- Eine reguläre Ausbildung wäre für ihn nicht in Frage gekommen
Nils ist kein Mann vieler Worte. Es gehe ihm „besser als davor“, sagt der 17-Jährige, die Arme verschränkt, der Blick ernst. Seine Mutter sagt: „Nils ist angekommen.“ Dass er mit Firmen-Sweatshirt im Pausenraum von „Elektro Sarnowski“ in Bochum sitzt, ist nicht selbstverständlich. Nils ist Autist, eine reguläre Berufsausbildung kam für ihn nicht in Frage. Trotzdem ist er jetzt auf dem Weg zu seinem Traumberuf: als Azubi zum „Fachpraktiker Elektroniker“ – der erste seiner Art in Bochum.
„Die Fachpraktiker-Ausbildung ist grundsätzlich in jedem Beruf möglich“, erklärt Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Bochum. Sie ermögliche es Menschen mit Behinderung, einen Beruf mit einem geringeren Umfang an theoretischen Kenntnissen zu erlernen. Am Ende sollen die Fachpraktiker-Azubis auf dem ersten Arbeitsmarkt unterkommen – als Fachkräfte, nicht bloß Helfer.
Nils’ Mutter sagt, er „lebt in seiner eigenen Welt“
Dass Nils in seinem Feld als Pionier vorangeht, ist der Zusammenarbeit mehrerer Beteiligter zu verdanken; zuallererst vermutlich ihm selbst. „Nils ist sehr fokussiert“, lobt Stephanie Graul. Als Beraterin bei der Agentur für Arbeit begleitet sie ihn schon seit seiner Zeit auf der Else-Hirsch-Schule. Schon früh sei klar gewesen, dass Nils Elektriker werden will, nichts anderes. „Ich will in den Betrieb“, sagt der 17-Jährige knapp.
Diese Fokussierung ist auch Symptom seiner Behinderung. Bis zur Diagnose „Asperger-Spektrumsstörung“ war es ein weiter Weg für Mutter und Sohn, „von Arzt zu Arzt“ seien sie gelaufen, erzählt Sandy Fichtner. „Nils lebt in seiner eigenen Welt“, umschreibt sie. Er brauche Rituale: feste Abläufe und Strukturen, vertraute Personen. Alleine Busfahren mit lauter fremden Menschen um sich herum? Undenkbar für den Teenager aus Laer. Und auch ein spontaner Umweg zum Einkaufen auf dem Heimweg könne eine Abweichung vom Gewohnten sein, die ihn aus der Fassung bringe, erzählt die Mutter.
Bochum: Ungenutztes Potenzial durch Fachpraktiker-Ausbildung erschließen
Da ist aber auch die Begeisterung für Elektrik und Elektronik, von Kindesbeinen an. Modellbau ist das Hobby des Jungen, als Knirps verpasst er einem Modellauto eine Unterbodenbeleuchtung mit LEDs. „Woher kannst du das?“, fragt die verblüffte Mutter. „Mama, ich bin doch nicht doof“, sagt der Sohn.
Arbeitsagentur-Beraterin Stephanie Graul riet Nils nach dem Förderschulabschluss zunächst zur Einstiegsqualifikation, einem einjährigen Langzeitpraktikum, kümmerte sich derweil darum, dass die Handwerkskammer den „Fachpraktiker Elektroniker“ zertifizierte. „Es wurd’ mal Zeit“, sagt sie. „Wir haben da einen jungen Mann, der hat die Fähigkeiten...“ Nun wolle man auch die Betriebe ermutigen, dieses bislang kaum genutzte Nachwuchs-Potenzial zu erschließen, betont Arbeitsagentur-Chef Neukirchen-Füsers.
Agentur für Arbeit zahlt Zuschüsse an Arbeitgeber
Während der Fachpraktiker-Ausbildung werden die Azubis begleitet, bekommen beispielsweise Nachhilfe für die Berufsschule. Die Betriebe wiederum erhalten neben rehabilitationspädagogischer Unterstützung für ihre Schützlinge auch finanzielle Zuschüsse: 30 bis 80 Prozent des Ausbildungsgehalts steuert die Agentur für Arbeit bei. „Der Arbeitgeber hat ja durchaus Aufwand.“
Karsten Zimmermann, Inhaber des Elektrobetriebs an der Alsenstraße, hat sich darauf eingelassen. „Der Fachkräftebedarf ist da“, sagt der 50-Jährige, es gebe wenig qualifizierte Bewerber, einige Kandidaten seien kurzfristig wieder abgesprungen. Nun arbeiten er, Sohn Max (28), zwei Monteure und zwei weitere Azubis seit knapp vier Monaten mit Nils zusammen. „Nils hat Talent“, sagt Zimmermann, „und auch Mut.“ Das kleine Team im Familienbetrieb gebe dem 17-Jährigen Halt, er sei schon „etwas aufgetaut“.
Wie andere Azubis auch sei Nils im Kundendienst mit dabei, arbeite den Monteuren zu. Gefragt, was ihm am meisten Spaß macht, antwortet er knapp: „Bude kloppen.“ Unterputzarbeiten, übersetzen die Chefs und loben, dass er einmal Erklärtes zuverlässig in die Praxis umsetze.
„Ein bisschen Kuschelkurs“ sei in der Zusammenarbeit mit Autist Nils einfach nötig, sagt Karsten Zimmermann. „Aber ab und zu gibt’s auch einen auf die Mütze“. Wann denn zum Beispiel? Wenn der Lehrling den Auftrag „Saubermachen“ hat und es nicht ganz so genau nimmt. „Ich weiß, der Staub muss komplett weg sein“, sagt Nils. Machen andere, „normale“ Azubis das denn besser, wird der Chef gefragt. Die Antwort kommt so schnell wie klar: „Nein!“
Schwerbehinderte in Bochum
Die Agentur für Arbeit wirbt anlässlich der jetzt anstehenden „Woche der Menschen mit einer Behinderung“ für die Fachpraktiker-Ausbildung. Die Vereinten Nationen (UN) haben den 3. Dezember zum weltweiten „Tag der Menschen mit einer Behinderung“ erklärt – erstmals im Jahr 1993, dieses Jahr also zum 40. Mal. Der Aktionstag soll darauf aufmerksam machen, dass behinderte Menschen oftmals benachteiligt sind.
In Bochum lebten nach Angaben des Statistischen Landesamtes Ende 2021 rund 47.500 Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung. Davon mehr als 31.000 ältere Menschen über 65 Jahren. Rund 1600 Schwerbehinderte sind nach Angaben der Agentur für Arbeit in Bochum arbeitslos gemeldet. Mehr als die Hälfte von ihnen suchen demnach eine Helfertätigkeit.
Informationen zu Fachpraktiker-Ausbildungen gibt es telefonisch: 0800/4555500 (für Arbeitnehmer) bzw. 0800/4555520 (für Arbeitgeber).