Bochum. Husten, Schnupfen, Fieber – im Herbst werden Erkältungen Thema. Medikamentenengpässe eventuell auch. Was Ärzte und Apotheker aus Bochum raten.
„Es ist wie der Tipp für Winterreifen am Auto. Die RS-Virus- und Grippesaison dauert von Oktober bis Ostern“, so Claudia Simon. Ob es eine ähnlich heftige Infektionswelle wie im vergangenen Jahr geben wird, lasse sich aber nicht seriös vorhersagen, sagt die Obfrau des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Bochum. Erste Apotheken indes warnen bereits vor neuerlichen Engpässen bei wichtigen Medikamenten.
Husten Schnupfen, Fieber: Medikamentenengpass in Bochum droht
Blick zurück: Im Herbst und Winter 2022 verzweifelten Eltern am deutschen Gesundheitssystem. Dringend benötigte Fiebersäfte, Antibiotika und andere Medikamente waren Mangelware, als RSV (ein Virus, das die Atemwege angreift und bei Kleinkindern lebensbedrohlich sein kann), Scharlach und Influenza bei Kindern und Jugendlichen die Runde machten. Kinderärzte arbeiteten bis zum Anschlag.
„Wir haben 2022 Aufholeffekte nach Corona gesehen. Das war sehr, sehr heftig“, sagt Claudia Simon. Aktuelle Fallzahlen aus Australien seien ein Indiz, dass es auch in diesem Jahr möglicherweise zu heftigen Infektionswellen kommen könne. Risikopatienten, insbesondere chronisch Kranken, und Älteren empfiehlt die Ärztin eine Grippeimpfung.
Grundsätzlich seien Erkältungen in Herbst und Winter „unser tägliches Brot“. Durch Corona habe sich die Situation aber grundlegend verändert. Eltern, Erzieher und Lehrer seien sehr sensibel geworden. „Aber nicht jedes Kind, das hustet und schnupft, muss gleich zu Hause bleiben oder zum Arzt“, so Simon.
Pharmazeutischer Großhandel schlagt Alarm
„Ich verstehe, wenn Eltern sich sorgen und verschnupfte und hustende Kinder nicht in Kita und Schule schicken wollen, aber Erzieher müssten es besser wissen.“ Zumal die für Kitas und Schulen erforderlichen ärztlichen Bescheinigungen eine zusätzliche Belastung für die Praxen sein. „Wir stoßen dann an unsere Grenzen.“
Alarm schlägt der pharmazeutische Großhandel (Phagro). „Bei 85 Prozent der für die kommende Herbst-/Wintersaison dringend benötigten Arzneimittel reichen die derzeit verfügbaren Bestände nicht einmal für zwei Wochen“, heißt es auf der Homepage. „Darunter sind zahlreiche Arzneimittel und Antibiotika für Kinder, die seit länger als einem Jahr knapp oder nicht verfügbar sind.“
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Inka Krude, Sprecherin der Bochumer Apotheken, hat daher für die Aussagen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), alles werde besser und die Versorgungslage solle nicht dramatisiert werden“, nur ein Lächeln übrig.
„Bei jedem Rezept mit drei Medikamenten fehlt mindestens eines. Die gelisteten Engpässe beziehen sich zudem nur auf verschreibungspflichtige Medikamente. Fiebersäfte gehören gar nicht dazu.“ Besorgniserregend sei die Versorgung von Diabetikern, Insulin sei sehr knapp. Insbesondere die Empfehlung, „weniger zu spritzen“ empört die Apothekerin. „Das Ergebnis werden wir in 20 Jahren sehen.“ Es drohten vermehrte Fuß-Amputationen und Erblindungen, so Krude.
Apothekerin gibt Tipps für Hausapotheke
„Patienten sollten sich ihre Medikamente frühzeitig verschreiben lassen. Zwei bis drei Wochen im Voraus. Innerhalb dieser Zeit können wir fast alles besorgen.“ Eltern sollten ihre Hausapotheke frühzeitig kontrollieren und auffüllen.
Ein Thermometer, Fieber-, Schmerz- und Hustensäfte, Nasenspray und -tropfen, Ohrentropfen und eine Erkältungssalbe gehörten ebenso hinein wie Desinfektionsmittel, Pflaster und Verbandsstoffe für die Versorgung von Wunden. „Die Bestückung sollte aber immer individuell erfolgen. Wenn ein Kind robust und wenig krank ist, sieht der Vorrat anders aus, als wenn Mittelohrentzündungen und Schnupfen zum Alltag gehören.“
„Bloß keine großen Vorräte anlegen“, warnt Claudia Simon – und erinnert an die Hamsterkäufe von Toilettenpapier zu Beginn der Corona-Pandemie. „Eine Flasche Fiebersaft reicht.“ Die Kinderärztin rät außerdem zu Hausmitteln. Mitunter wirkten Umschläge, Wadenwickel und insbesondere viel Trinken sehr gut, um mit einem Infekt klar zu kommen. „Bloß nicht in Panik verfallen oder Dr. Google vertrauen.“
Kinderklinik Bochum sieht sich gut aufgestellt
Rotaviren: 62 Fälle bislang
Laut AOK steigt die Zahl der Rotavirus-Fälle in Bochum. Im ersten Halbjahr 2023 seien bereits 62 Fälle gemeldet worden. Im gesamten Jahr 2022 nach einem Einbruch der Zahlen während der Coronazeit nur 58. Rotaviren sind eine der häufigsten Ursachen für schwere Magen-Darm-Erkrankungen bei Kindern.
Die Universitätskinderklinik Bochum verzeichnet zwar Rotavirus-Fälle – „dies aber im üblichen Rahmen, es gibt hier kein erhöhtes Aufkommen“, berichtet Prof. Thomas Lücke auf Anfrage. Die gemeinsame Notfallambulanz (Kinderklinik und niedergelassene Kinderärzte) sei natürlich rund um die Uhr auch auf die Untersuchung und Behandlung dieser Erkrankung vorbereitet.
Eine Häufung der Fälle sei nicht zu verzeichnen, sagt auch Kinderärztin Claudia Simon. Besonders gefährlich seien Rotaviren für Säuglinge. „Die werden heute aber nahezu alle geimpft.“
Gut vorbereitet auf eine mögliche Grippewelle sieht sich das Katholische Klinikum und die dazugehörige Kinderklinik. „Die Apotheke hat einen gut kalkulierten Vorrat angelegt, indem es die wichtigsten Medikamente selbst hergestellt sowie bei heimischen Lieferanten und zum Teil auch im Ausland beschafft hat. Insofern gehen wir davon aus, ohne Versorgungsengpässe durch den Winter zu kommen“, heißt es auf Anfrage dieser Zeitung.