Bochum. Scharlach hat seinen Schrecken dank Antibiotika verloren. Der Mangel an Penizillin lässt Eltern in Bochum dennoch verzweifeln. Was Ärzte raten.
Halsschmerzen, Schüttelfrost, Fieber – in der Folge Hautausschlag und Himbeerzunge. Die typischen Anzeichen für Scharlach veranlassen derzeit viele Eltern in Bochum, mit ihren Kindern zum Arzt zu gehen. Die klassische, durch Bakterien verursachte Kinderkrankheit geht gerade in Kindertagesstätten und Schulen rum. Aber nicht nur diese.
126 Scharlach-Fälle in Bochum binnen zwei Monaten
Die Zahlen sind eindeutig: Eine Scharlach-Welle hat Bochum erreicht. 126 Fälle sind dem Gesundheitsamt der Stadt dieses Jahr aus Schulen, Kitas und anderen Gemeinschaftseinrichtungen schon gemeldet worden. In den vergangenen beiden Jahren waren es jeweils ein Fall, vor Corona 2019 nur 48, 36 im Jahr 2020, teilt die Stadt auf Anfrage mit.
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In der Statistik fehlen aber die bei Ärzten und in Kliniken diagnostizierten Fälle. Denn anders als Schulen und Kitas müssen Praxen die Krankheit dem Gesundheitsamt nicht mehr anzeigen.
Kinderklinik Bochum berichtet über schwere Verläufe
Auch die Universitätskinderklinik des Katholischen Klinikums Bochum (KKB) berichtet auf Anfrage von einer signifikanten Zunahme an Scharlach-Fällen, „die teilweise einen schweren Verlauf aufweisen“. Zwar seien viel Infektionen in der kalten Jahreszeit nicht ungewöhnlich, aber die Entwicklung speziell Anfang 2023 durchaus auffällig. „Auch andere Länder verzeichnen einen ähnlichen Anstieg. Die Gründe dieser großflächigen Zunahme sind bisher nicht geklärt“, so KKB-Sprecher Jürgen Frech.
Allein im Januar und Februar habe es in der Kinderklinik fünf schwere Fälle von Scharlach gegeben, die intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Im gesamten Vorjahr war es kein einziger. Frech: „Diese Behandlung ist oft langwierig. Alle Patienten konnten stabilisiert werden beziehungsweise sind auf dem Weg dahin. Auch über die Intensivstation hinaus mussten weitere ernste Fälle versorgt werden.“
Kinderärztin: „Niemand muss Angst um sein Kind haben“
Scharlach ist hoch ansteckend, hat dank Antibiotika aber grundsätzlich seinen Schrecken doch weitgehend verloren. Mussten Eltern in der Vor-Penizillin-Ära in einzelnen Fällen um das Leben ihrer Kinder bangen, beziehungsweise Herzmuskel- oder Nierenentzündungen fürchten, so sorgen Antibiotika heutzutage meistens für leichtere Verläufe, eine zügige Genesung und verkürzen die Ansteckungszeit.
Windpocken sind auf dem Vormarsch
Nicht nur zahlreiche Scharlach-Fälle werden derzeit in Bochum registriert, sondern auch die Windpocken sind auf dem Vormarsch. Laut Krankenkasse IKK classic sind in diesem Jahr bereits 25 Kinder erkrankt. Das bestätige den Trend des Vorjahres. 2022 gab es 92 Fälle, nach nur 28 im Jahr 2021. Während der Corona-Pandemie hatten sich deutlich weniger Menschen angesteckt.
Windpocken werden meist durch Husten und Niesen übertragen, eine Ansteckung kann auch durch Flüssigkeiten aus den Bläschen des Hautausschlags erfolgen, in dem viele Viren enthalten sind.
Die Ständige Impfkommission empfiehlt der IKK zufolge Eltern, ihre Kinder gegen Windpocken impfen zu lassen. Die erste Impfung sollte demnach im Alter von elf bis 14 Monaten erfolgen, die zweite Impfung im Alter von 15 bis 23 Monaten.
Im Normalfall ist also alles gut – wenn denn Penizillin verfügbar ist. Das aber ist aktuell nicht der Fall. „Es ist eine Katastrophe“, sagt Dr. Claudia Simon, die Obfrau des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Bochum. „Eltern bekommen einfach kein Penizillin. Manche müssen 20, 30 oder gar 40 Apotheken anrufen, um das verschriebene Medikament zu erhalten.“
Panik sei trotzdem nicht angesagt. „Niemand muss Angst haben, dass sein Kind nicht behandelt wird. In Rücksprache mit den Apotheken finden wir immer eine Lösung.“ Zurückgegriffen werde dann auf andere Antibiotika, die nicht als Erstes verschrieben würden, weil sie für schwerere Erkrankungen von Bedeutung seien und Resistenzen vermieden werden sollen. „Wir setzen die Medikamente nur zielgerichtet ein“, so Simon, die eine Praxis für Kinder- und Jugendmedizin in Langendreer hat.
Magen- und Darminfektionen sind im Kommen
Aber nicht nur die Scharlach-Bakterien, die sogenannten A-Streptokokken, machen vielen Mädchen und Jungen derzeit zu schaffen, sondern zeitgleich erkranken viele auch an Grippe- und anderen Viren (RS, Adeno-). Mit Blick auf die Corona-Zeit, Distanzunterricht und Maskenpflicht sagt Simon: „Kinder holen ihre Infekte gerade nach.“ Das führe auch zu höheren Fieberwerten und längeren Schüben.
„Zurzeit sind die Praxen bereits wieder so voll wie zuletzt im November und Dezember“, beschreibt die Ärztin aus dem Bochumer Osten die aktuelle Situation. Eine Entspannung sei gerade nicht in Sicht. „Auch Magen- und Darminfektionen sind gerade im Kommen.“
Für Tipps und Empfehlungen zu Scharlach verweist die Stadt Bochum auf die Homepage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: www.infektionsschutz.de. „Dort stehen die Informationen und Empfehlungen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung.“