Bochum. Nach einer tödlichen Gasexplosion in einem Wohnhaus in Bochum begann der Prozess gegen zwei Bauarbeiter. So schildern sie den Tag des Unglücks.

„Ich habe nichts gerochen, nichts gehört, dass ich was durchgebohrt habe.“ Das sagte am Montag vor dem Landgericht ein 51-jähriger Vorarbeiter, der für ein Unglück verantwortlich sein soll, das in die Geschichte der Stadt Bochum eingehen wird. Am Abend des 10. Januar 2023 hatte eine mächtige Explosion ein freistehendes Einfamilienhaus komplett zum Einsturz gebracht, weil aus einer nahe gelegenen Baustelle Gas unbemerkt in den Keller geströmt war. Eine Bewohnerin (61) wurde von den Trümmern erschlagen und starb.

Dem Angeklagten wird „fahrlässiges Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge“ vorgeworfen. Neben ihm auf der Anklagebank sitzt sein Schwiegersohn (30), wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung.

Bauarbeiter verlegten Kabelkanäle für Glasfaserkabel im Auftrag von Vodafone

Beide hatten damals für eine Essener Tiefbaufirma im Auftrag von Vodafone im Bereich Keilstraße/Auf dem Pfade an der Stadtteilgrenze Dahlhausen/Linden Kabelkanäle für Glasfaser verlegt. Pläne über die dort bereits verlegten Versorgungsleitungen lagen ihnen vor. Die Arbeiten erfolgten mit einem „horizontalen Spülbohrverfahren“. Der 51-Jährige steuerte den Bohrer, der 30-Jährige, ein einfacher Arbeiter, bediente den Sensor am Bohrkopf, um über dessen aktuelle Position Bescheid zu wissen. Am Vormittag ging es los. Bis ungefähr 17 Uhr waren 130 bis 140 Meter geschafft. Dann begann die Katastrophe – erst geräuschlos, am Ende mit ohrenbetäubender Wucht.

Die beiden Angeklagten neben Verteidigerin Linda Vierks und Verteidiger Roman von Alvensleben.
Die beiden Angeklagten neben Verteidigerin Linda Vierks und Verteidiger Roman von Alvensleben. © WAZ | Gero Helm

Der Bohrer, wie sich am Tag darauf herausstellte, hatte im Kreuzungsbereich der beiden Straßen in etwa 1,10 Metern Tiefe eine Gasleitung mit 200 Millimetern Durchmesser durchtrennt. Die beiden Löcher waren jeweils 150 Millimeter groß. „Gas! Gas! Gas!“, soll ein Bauarbeiter erschrocken gerufen und dabei an seine Nase gepackt haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 51-jährigen Angeklagten nun aber vor, nach dieser Warnung nicht genug Kontrollen durchgeführt zu haben, ob und gegebenenfalls wo ein Gasleck entstanden war – „um den Feierabend nicht zu gefährden“. Der andere Angeklagte hätte auf weitere Kontrolle bestehen oder höhere Vorgesetzte einschalten müssen.

Ausströmendes Gas drang auf unbekannten Wegen in den Keller des Wohnhauses ein

Im Laufe des Abends nahm das Unglück still und leise seinen Lauf. Das aus der Leitung ausströmende Gas schlich sich auf unbekannten Wegen in die umliegenden Keller und auch in ein Wohnhaus, das gar keinen Gasanschluss hatte. Gegen 21.40 gab es eine mächtige Explosion, das ganze Haus krachte in sich zusammen.

Im unteren Geschoss befand sich die Hauseigentümerin, sie hatte keine Chance. Im Obergeschoss hielt sich ihr Sohn (35) auf. Wie durch ein Wunder wurde er nur leicht verletzt. Der Vater war nicht zu Hause.

Die Feuerwehr rief sofort die zweithöchste Alarmstufe aus, wie Einsatzleiter und Feuerwehrchef Simon Heußen (44) den Richtern sagte. Der Körper der Bewohnerin sei zwar „in den Trümmern verkeilt“ gesichtet worden, habe aber wegen sehr hoher und entzündlicher Gaskonzentration („zehn Volumenprozent“) erst am nächsten Morgen geborgen werden können.

Angeklagter: „Ein Schock ohne Ende, als ich die Bilder gesehen habe“

Der 30-jährige Angeklagte erfuhr erst am nächsten Morgen, als er auf einer anderen Baustelle arbeitete, aus dem Lokalradio von der Explosion. „Mir war klar, das war meine Baustelle. Ein Schock ohne Ende, als ich die Bilder gesehen habe.“ Er kenne solche Katastrophen sonst nur aus dem Fernsehen. Zu Beginn seiner Aussage erklärte er wie sein Schwiegervater: „Herzliches Beileid an die Familie. Ich bin geschockt, bis heute.“

Den Angeklagten droht Schadensersatz

Sollten die Angeklagten verurteilt werden, droht ihnen auch, Schadensersatz für das zerstörte Haus zahlen zu müssen. Der Wert wird auf 420.000 Euro geschätzt, hieß es im Prozess.Vor Gericht wurden auch Vorschriften für das Arbeiten an öffentlichen Versorgungsleitungen vorgelesen. Demnach müssen die Stadtwerke sofort informiert werden, wenn ein Schaden eingetreten ist („Erkundungs- und Sicherungspflicht“).Was genau das Gas im Haus zur Explosion gebracht hat, ein Funken oder anderes, ist bisher nicht bekannt.Der Prozess wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt.

Der 51-jährige Angeklagte, wie sein Schwiegersohn nicht vorbestraft, hatte monatelang in U-Haft gesessen, hatte damals nach dem „Gas“-Ruf das Bohrgerät sofort gestoppt. Er habe aber an der verdächtigen Stelle keinen Gasgeruch und auch kein Zischen wahrgenommen, obwohl er „mit der Nase auf dem Boden“ gelegen und auch einen Kanaldeckel geöffnet habe. „Ich habe nichts gerochen, nichts gehört, dass ich was durchgebohrt habe.“ Er habe keine Gefahr gesehen. Danach war der Arbeitstag für ihn beendet.

Richter Josef Große Feldhaus fragte ihn, welcher Fehler denn damals passiert sei: Waren die Leitungspläne falsch, wurde die Höhe des Bohrkopfes falsch gemessen? Antwort: „Ich zerbreche mir immer noch den Kopf. Ich bin am Rechnen und Tun: Ich komme nicht drauf.“

Die 7. Strafkammer wird dies an neun weiteren Sitzungsterminen bis 27. Oktober zu klären versuchen.