Verdi droht Arbeitgebern mit Streik im Weihnachtsgeschäft
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Bochum. Knapp 3000 Beschäftigte des Handels haben in Bochum für bessere Tariflöhne demonstriert. Es ist von Milliarden-Gewinnen der Branche die Rede.
Knapp 3000 Beschäftigte aus 180 Betrieben des Einzel- und Großhandels in NRW sind am Dienstag in Bochum auf die Straße gegangen, um für ihre Forderungen in der laufenden Tarifauseinandersetzung zu demonstrieren. Nach fünf erfolglosen Gesprächsrunden werden der Ton rauer und die Ankündigungen bedrohlicher.
Gewerkschaft verzeichnet 10.000 neue Mitglieder allein im Handel
„Weihnachten steht vor der Tür. Und wir auch“, ruft Jürgen Schultz von Saturn Bielefeld, Mitglied in der Tarifkommission Einzelhandel, am Mikrofon auf dem Europaplatz vor dem Bergbaumuseum Arbeitgebern wie auch Arbeitnehmern zu – Ersteren als Mahnung, ein aus Sicht der Gewerkschaft Verdi und der Streikenden akzeptables Verhandlungsangebot vorzulegen, und den Zweiteren als Botschaft, in der Streikbereitschaft nicht nachzulassen.
Davon ist derzeit offenbar aber keine Rede. „Verdi hat allein in diesem Jahr 10.000 neue Mitglieder im Handel aufgenommen“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Heino Georg Kassler. Über alle Branchen hinweg sind es sogar 130.000, wie Verdi-Chef Frank Werneke zum Auftakt der Kundgebung sagt. Das „Supertarifjahr“ kostet die Gewerkschaft zwar reichlich Anstrengung und Geld, zugleich scheint es aber auch die Solidarität und den Mitgliederbestand zu stärken.
Dabei lassen viele Arbeitgeber angeblich nichts unversucht, die Streikbereitschaft der Beschäftigten zu senken. Verdi-Verhandlungsführerin Silke Zimmer spricht von Einschüchterungsversuchen, von Nichtstreik-Prämien und von Angriffen gegen das Streikrecht.
Zweite große Demo in diesem Jahr in Bochum
Im NRW-Einzelhandel arbeiten laut Verdi etwa 517.000 sozialversicherungspflichtige und 197.000 geringfügig Beschäftigte. Im Groß- und Außenhandel gibt es in NRW etwa 306.000 sozialversicherungspflichtig und 54.000 geringfügig Beschäftigte. Die Verhandlungen in der sechsten Runde sind für Freitag, 25. August (Einzelhandel), und für den 4. September (Großhandel) angesetzt.
Die Kundgebung am Dienstag war die zweite große Veranstaltung dieser Art in Bochum in diesem Jahr. Ende Februar waren 8000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aus ganz NRW ebenfalls am Bergbaumuseum zusammengekommen, um dort und in einem Demozug durch die Stadt für ihre Forderungen zu kämpfen.
So wie in anderen Branchen, in denen die zum Teil ebenfalls langwierigen Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen wurden – so im öffentlichen Dienst und bei der Post – verlangen auch die Beschäftigten im Handel „ordentliche Tarifabschlüsse“. „Wir wollen nicht nur das Brot, wir wollen auch die Butter“, heißt es. Angesichts extremer Preissteigerungen gerade bei Lebensmitteln und Energie sei das seit Juni nicht mehr verbesserte Angebot der Arbeitgeber nicht diskutabel. Diese hatten in zwei Etappen, so Verdi, eine Lohnerhöhung von etwa fünf Prozent angeboten.
Parole des Tages: „Kein Handel ohne uns“
Verdi Streik im Handel
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Die Forderungen der Arbeitnehmer liegen auf dem Tisch: Verdi fordert in der Tarifrunde 2023 im Einzelhandel NRW unter anderem 2,50 Euro mehr Gehalt und Lohn pro Stunde, außerdem einen Mindeststundenlohn von 13,50 Euro. Ausbildungsvergütungen sollen nach den Forderungen um 250 Euro angehoben werden. Im Groß- und Außenhandel NRW fordert Verdi ein Lohnplus von 13 Prozent, mindestens aber 400 Euro. Die Ausbildungsvergütungen sollen um 250 Euro angehoben werden. „Das seid ihr wert und das ist auch euer gutes Recht“, so Verdi-Chef Werneke, der ebenso wie die anderen Rednerinnen und Redner immer wieder von der zentralen Parole dieses Tarifstreits unterbrochen wurden: „Kein Handel ohne uns, kein Geschäft ohne uns.“ Bisher bieten die Arbeitgeber im Einzel- sowie im Groß- und Außenhandel für das Jahr 2023 eine Entgelterhöhung zwischen 5,1 Prozent und 5,3 Prozent sowie teilweise Inflationsausgleichsprämien.
Verdi verweist auf Milliarden-Gewinne
Empört, und das ist angesichts einiger Formulierungen bei der Kundgebung im Bochum noch milde ausgedrückt, sind die Beschäftigen auch, weil die Arbeitgeber den im vergangenen Jahr von der Bundesregierung empfohlenen einmaligen Inflationsausgleichs immer noch nicht ausgezahlt haben, sondern ihn mit in die Tarifvereinbarungen nehmen möchten.
„Dabei hieß es noch in der Corona-Zeit, der Handel ist systemrelevant. Uns jetzt sind wir nichts mehr wert?“ Silke Zimmer rechnet vor, die Gewinne der Unternehmen im Einzelhandel hätten 2022 insgesamt 22,5 Milliarden Euro betragen, im Groß- und Außenhandel sogar 33,1 Milliarden Euro. Geld genug für eine spürbare und verbindliche Lohnerhöhung sei da.
Leere Regale in Geschäften
Die Realität sehe aber anders aus. „Wir sind mit unseren Kräften langsam am Ende“, berichtet Sabine Fritsch aus Minden, Betriebsratsvorsitzende der Parfümerie-Kette Douglas. Immer höhere Anforderungen, trotzdem weniger Personal. Das gehe an die Substanz. Die Beschäftigten vermissten eine ordentliche Bezahlung und angemessene Wertschätzung. Applaus – und wieder die Parole: „Keine Geschäfte ohne uns.“
Tatsächlich sollen die Auswirkungen des erneuten Warnstreiks schon beträchtlich sein, auch wenn die Zahl der insgesamt an diesem Tag 3500 Streikenden im Vergleich zur Zahl der etwa eine Million im Handel Beschäftigten gering ist. „Im Großhandel gehen zum Teil keine Waren mehr raus“, heißt es bei Verdi. Im Einzelhandel fehlten Lebensmittel in den Regalen. „Es kommt also zu erheblichen Einschränkungen.“
Nikolaus-Mützen als Botschaft an die Arbeitgeber
So geht es in einer langen, 3000 Köpfe zählenden Schlange vom Bergbaumuseum durch die Innenstadt von Bochum bis zum Hauptbahnhof und wieder zurück. Fast vornweg die „Ultras“ (O-Ton Silke Zimmer) des Elektrogroßhändlers Sonepar Holzwickede, gefolgt von Beschäftigten der Metro Recklinghausen, Galeria Karstadt Kaufhof Dortmund, Marktkauf Oelde, Handelshof Haan, Saturn Moers, Expert Duisburg, Sportscheck Köln, Edeka Foodservice Rheine und von vielen anderen Betrieben in NRW.
Sie wirken entschlossen. Einer reckt sogar eine mächtige, grüne Hulk-Faust, andere tragen schon jetzt rot-weiße Nikolausmützen. Auch das ist offenbar eine deutliche Botschaft in Richtung Arbeitgeber.
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