Bochum. Nach der Premiere an der Wiener Burg ist Johan Simons Regiearbeit jetzt in Bochum zu sehen – grandios: Steven Scharf in der Titelrolle.
Der Junge, wo steckt der Junge? Woyzeck trampelt über die Bühne auf der Suche nach seinem vermissten Sohn. Auch Marie schreit verzweifelt nach dem „armen Hurenkind“, bis sie es schließlich hinter einem kleinen Podest hervorzieht – als eine erbärmliche Figur aus gebogenen Drähten. Wenn so die Zukunft unserer Kinder aussieht, dann gute Nacht.
In seinen Regiearbeiten ist der Bochumer Intendant Johan Simons nicht unbedingt als Optimist bekannt. Auch seine inzwischen dritte „Woyzeck“-Inszenierung, die nach der Premiere 2019 an der Wiener Burg jetzt im Schauspielhaus die Reihen füllt, führt die abgründige Tragik des Stoffes schmerzlich vor Augen. Denn von dem zunächst recht vergnüglich wirkenden Schauplatzwechsel (Simons verlegt das Drama in eine Manege) sollte man sich nicht blenden lassen: Dieser „Woyzeck“ ist harter Stoff.
Der Außenseiter Woyzeck als trauriger Clown
Tatsächlich ist der abgetakelte Zirkus im Bühnenbild von Stéphane Laimé kein schlechter Einfall. Hier wird der erbsenfressende Außenseiter Woyzeck zum traurigen Clown, über dessen geschundene Existenz die ach so tadellose Gesellschaft um ihn herum spotten und schimpfen darf. Direkt in seinem ersten Auftritt zeigt der grandiose Steven Scharf, aus welch morschem Holz seine Figur geschnitzt ist. Da steht er minutenlang in der Manege und spuckt nur zusammenhanglose Satzbrocken aus. Scharf ist ein Kerl wie ein Baum, doch wie zerbrechlich und abgrundtief traurig er hier schon wirkt, rührt kräftig.
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Trotz seines nur fragmentarischen Charakters besitzt Georg Büchners Drama vom Soldatenburschen, der jedes Leid erträgt, solang nur seine Geliebte Marie zu ihm hält, die Wucht einer Shakespeare-Tragödie. Der Text ist nur bruchstückhaft überliefert, und auch Johan Simons verweigert konsequent jegliche Erklärungsversuche. Gut beraten ist, wer die Handlung vorher kennt.
Simons konzentriert sich auf die tragische Liebesgeschichte
Stattdessen konzentriert sich Simons ganz auf die tragische Liebesgeschichte. Prägnante Nebenrollen wie der Doktor (Martin Horn) und der Hauptmann (Jordy Vogelzang) werden eher im Nebenher abgehandelt, Erbsen sieht man keine. Dafür sind es qualvolle Szenen, in denen Marie ihr Herz an den Tambourmajor verliert, der wie ein Zirkuspferd um sie herumstolziert, während der gehörnte Woyzeck bebend um Fassung ringt – und sich schließlich nackt auf einer Stange hockend selbst befriedigt.
Anna Drexler, längst eine Bank im Bochumer Ensemble, spielt die juchzende, maßlos übertreibende Marie überzeugender als die verzweifelte. Den Tambourmajor gibt Guy Clemens mit Witz als stolzen Gockel. Langer Beifall im bestens besuchten Saal.