Bochum. Die Auswahl der Träger für den Offenen Ganztag in Bochum erzürnt Eltern an drei Grundschulen. Sie befürchten eine Rückkehr zur „Verwahrschule“.

Die Ausschreibung für den Offenen Ganztag an den Grundschulen ab dem Schuljahr 2023/2024 in Bochum ist beendet. Von 16 Bietern wurden drei nicht berücksichtigt. An drei Grundschulen protestieren Eltern gegen den Wechsel des Trägers. In allen Fällen übernimmt die SPD-nahe Arbeiterwohlfahrt (Awo) von der Gesellschaft Outlaw. Die Eltern vermissen Transparenz im Auswahlverfahren und vermuten politische Einflussnahme: Der Awo-Vorstandsvorsitzende Serdar Yüksel ist auch Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Bochum – beides im Ehrenamt.

Eltern in Bochum protestieren gegen Trägerwechsel im Offenen Ganztag

Die Offene Ganztagsgrundschule (OGS) in Grundschulen ist für die Träger ein Millionengeschäft. 17,5 Millionen Euro kostet die verlässliche Betreuung und Förderung der Grundschüler bis in den Nachmittag hinein. Im laufenden Schuljahr nehmen 5448 Mädchen und Jungen teil.

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Die Träger erhalten je nach Förderschwerpunkt 2426 oder 3430 Euro pro Kind. Die höhere Pauschale wird bezahlt für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und für Kinder aus Flüchtlingsfamilien oder in vergleichbaren Lebenslagen.

Die größten Stücke vom „Millionenkuchen“ bekommen nach der jüngsten Ausschreibung Arbeiterwohlfahrt (14 Schulen), Evangelischer Kirchenkreis (14) und Caritasverband Ruhr-Mitte (11). Beim ersten Verfahren zum Schuljahr 2019/2020 kamen ebenfalls Ev. Kirche (14), Caritas (14) und Awo (9) als größte Träger zum Zuge.

Stadt Bochum erkennt Bewertung der Schulleiter nicht an

Rechtsanspruch ab 2026

Ihren Ursprung hat die OGS in Bochum in den ersten Betreuungsmaßnahmen 2003. Das sogenannte 8-13-Uhr-Programm löste sukzessive die vorhandenen Horte und Schulkinderhäuser ab.

In den vergangenen zwölf Jahren stieg die Zahl der betreuten Kinder in den Grundschulen kontinuierlich von 4439 im Schuljahr 2011/2012 auf 5448 im Schuljahr 2022/2023. Aktuell bieten alle Bochumer Grundschulen eine offene Ganztagsbetreuung an.

Zu den Trägern im kommenden Schuljahr werden neben Awo (14 Schulen), ev. Kirche (14) und Caritas (11) noch sechs Fördervereine, Outlaw (3), Ifak (2), Betreuungsverein für Jugendhilfe und Schulprojekte (1) sowie die Freunde des Jugendheimbaus (1) gehören.

Die Kosten für die OGS gibt die Stadt mit 17,5 Millionen Euro an. Durch Elternbeiträge nimmt die Stadt 4,48 Millionen Euro ein. Ihr Zuschuss zur Betreuung beträgt 8,58 Millionen Euro, vom Land gibt es 8,9 Millionen Euro.

Ab August 2026 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz für Erstklässler. Bis dahin müssen noch viele Plätze geschaffen werden, da der Bedarf weitaus höher eingeschätzt wird als die Zahl der heute angebotenen Plätze.

In Online-Petitionen beklagen drei Grundschulen das Ergebnis der Ausschreibung, die laut Stadt am 27. Februar mit der Beauftragung der Träger beendet worden ist. Eltern an der Frauenlobschule (Hiltrop), der Grundschule Günnigfeld (Wattenscheid) und der Sonnenschule (Weitmar) kritisieren die fehlende Einbeziehung von Schulpflegschaft, Kollegium und Eltern sowie mangelnde Transparenz in dem Verfahren.

Die Stadt widerspricht, die Beteiligung sei im Vorfeld erfolgt: „Alle Schulen haben im Rahmen eines Beschlusses der Schulkonferenz konkrete Anforderungskriterien für die künftige OGS-Betreibung benannt und festgelegt.“ Im Vergaberecht sei es nicht möglich, Wunschfirmen zu benennen oder bestimmte Anbieter als unerwünscht abzuweisen.

Keine Angaben indes macht die Stadt zum Votum der Schulleitungen, die die Angebote der Träger vor der Entscheidung bewerten sollten bzw. mussten – und zwar nach Kriterien für Betreuungskonzept (Gewichtung 55 Prozent), Personal (25) und Mittagsverpflegung (20). „Das seien Interna aus dem Vergabeverfahren“, begründet die Stadt ihr Schweigen.

Nach Informationen der WAZ kamen alle drei Schulen zum gleichen Ergebnis: Der bisherige Träger Outlaw schnitt am besten ab. Die Stadt indes akzeptierte diese Bewertungen nicht, korrigierte sie gar und vergab den Auftrag an die Awo. Der SPD-nahe Sozialverband hatte vor vielen Jahren bereits schon einmal gegen die Vergabe an Outlaw geklagt. Vergeblich.

Eltern fürchten nach Erfahrungen mit der Awo schlechtere Betreuung

1063 Unterschriften sammelten die Eltern der Frauenlobschule mit Hilfe einer Online-Petition für den Verbleib beim OGS-Träger Outlaw.
1063 Unterschriften sammelten die Eltern der Frauenlobschule mit Hilfe einer Online-Petition für den Verbleib beim OGS-Träger Outlaw. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Viele Eltern fürchten nun eine schlechtere Betreuung und Förderung ihrer Kinder. „Wir haben 2015 viel Arbeit und Zeit investiert, dass die OGS zu Outlaw wechseln konnte“, heißt es in einem Schreiben der Eltern der Frauenlobschule. „Jetzt wieder ein Wechsel zum alten Träger ist ein Schlag ins Gesicht!“

Yves Thissen, seit sieben Jahren Vorsitzender der Schulpflegschaft, kennt die Kritik an der Awo „nur vom Hörensagen“. Das unzulängliche pädagogische Konzept, der häufige Wechsel von Personal und das Essen seien kritisiert worden. Das Wort von der „Verwahrschule“ habe seinerzeit die Runde gemacht. „Durch Outlaw hat sich das alles zum Positiven entwickelt“, sagt Thissen.

„Warum soll man ein gut funktionierendes pädagogisches System mit gutem Personal austauschen gegen einen Träger, der schon vor Jahren unzulängliche Arbeit geleistet hat und deshalb damals ausgetauscht wurde“, fragen sich Eltern. Und erklären sich das mit Blick auf SPD- und Awo-Chef Serdar Yüksel so: „Der Ersatz durch die Awo hat das Geschmäckle der Vetternwirtschaft.“

Stadtgestalter springen den enttäuschten Eltern bei

Das Verhältnis zwischen dem Schulträger Stadt Bochum und den drei Schulen ist auf einem Tiefpunkt. Davon zeugt auch, dass alle drei Schulleitungen nach Informationen der WAZ den Kooperationsvertrag mit dem neuen Träger bislang nicht unterzeichnet haben. „Rechtlich ist die Kooperationsvereinbarung auch ohne Unterschrift der Schulleitungen gültig, da der Partner im Außenverhältnis der Schulträger ist. Die Schulen selbst sind nicht rechtsfähig“, heißt es bei der Stadt.

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Politischen Beistand bekommen die Schulen von den Stadtgestaltern. „Die Meinungen der Eltern hätten ein Kriterium für die Vergabe sein müssen. Statt dessen hat man still und heimlich einen Wechsel des Anbieters durchgezogen und die geschockten Schulgemeinschaften vor vollendete Tatsachen gestellt“, sagt Tobias Penoni, der schulpolitische Sprecher des Bürgerbündnisses. Eine Anfrage an den Hauptausschuss soll Hintergründe der Vergabe öffentlich machen.

Serdar Yüksel weist für die Awo die Vorwürfe zurück. „Das ist Quatsch. Die Vergabe erfolgt nach objektiven Tatbeständen. Wir haben bei der letzten Ausschreibung sechs Schulen verloren. Das beweist doch, dass wir keinen Einfluss haben.“ Jeder Träger könne zudem die Vergabe rechtlich überprüfen lassen. Die Awo selbst sei vor Jahren mit einer Klage gegen die Stadt gescheitert.

Yüksel hält vom Verfahren in Bochum nichts: „Ich bin grundsätzlich gegen Ausschreibungen im Bildungsbereich, Herne und Essen verzichten ja bei der OGS auch darauf.“