Bochum. Aus dem Traumurlaub wurde ein Alptraum: Ein Bochumer sitzt seit einem Tretboot-Unglück im Rollstuhl. So kämpft sich die Familie ins Leben zurück.
Es ist dieser eine Moment im Juli 2022, der das Leben von Familie Ruslichenko in ein Vorher und Nachher teilt. Der Moment, in dem Ruslan Ruslichenko auf die Rutsche eines Tretbootes klettert und kopfüber ins Meer springt. Ein halbes Jahr später bereitet sich der 48-Jährige im Bergmannsheil auf eine Rückkehr zu seiner Frau und seinem Sohn vor. Querschnittsgelähmt. Für immer auf den Rollstuhl angewiesen. Gleichwohl zuversichtlich, sein neues Leben mit seinen Liebsten zu meistern.
„Ich habe dieses Bild jeden Tag vor Augen“, sagt Ewgenija Ruslichenko. Wie ihr Mann am zweiten Tag des Mallorca-Urlaubs auf die Tretboot-Rutsche steigt. Wie sie ruft: „Mach das nicht, Schatz!“ Wie er erwidert: „Passiert schon nichts.“ Wie er springt. Wie er auftaucht, mit dem Gesicht nach unten, hilflos mit den Armen rudert, stöhnt: „Ich spüre meine Beine nicht mehr.“
Tragödie im Mallorca-Urlaub: „Es ging um Leben und Tod“
1,50 Meter tief ist das Wasser des Mittelmeeres an der Unfallstelle vor El Arenal. Ruslan Ruslichenko hat sich bei seinem Sprung dramatisch verschätzt. Sein Kopf knallt auf den Meeresgrund. Rettungsschwimmer tragen den Urlauber an den Strand. In einer Klinik in Palma wird er notoperiert. Mehrere Halswirbel sind gebrochen. Für zwölf Tage wird er ins künstliche Koma versetzt. Ein Luftröhrenschnitt wird vorgenommen. „Es ging um Leben und Tod“, sagt Ehefrau Ewgenija, die mit ihrem damals dreijährigen Sohn vier Wochen auf Mallorca bleibt, um ihrem Mann beizustehen. „Die schlimmste Zeit meines Lebens.“
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Derweil startet Lena Schulmann, eine Freundin der Familie, eine Spendenaktion. Zu allem Unglück haben es die Eheleute versäumt, eine Auslandskrankenversicherung abzuschließen. „Wir hatten den Urlaub erst kurz vorher gebucht. Wir waren so glücklich, eine Woche gemeinsam zu verreisen. Dass unser Traumurlaub zum Alptraum wird, hätten wir nie gedacht“, schildert Ewgenija Ruslichenko, die wie ihr Mann, mit dem sie seit 2012 verheiratet ist, aus der Ukraine stammt.
24.000 Euro Spendengelder ermöglichten den Rücktransport
Was folgt, erfüllt die 38-Jährige „mit unendlichem Dank“. Auf zwei Online-Portalen werden binnen weniger Wochen von 509 Nutzern mehr als 24.000 Euro gespendet. Das Geld reicht für den Rücktransport im August 2022. Nach der Landung geht es für den Patienten direkt ins Bochumer Bergmannsheil.
Dort wird Ruslan bis heute versorgt, etwa mit Physio- und Ergotherapie. Psychisch habe ihr Mann das furchtbare Geschehen inzwischen halbwegs verarbeitet. „Er tröstet mich immer: Es hätte noch schlimmer können“, sagt Ewgenija Ruslichenko. Die medizinische Diagnose indes verheiße keine Besserung: „Mein Mann ist unterhalb der Brust gelähmt. Er kann zwar die Arme bewegen, hat aber keine Kraft in den Fingern. Die Ärzte haben keine Hoffnung, dass er jemals wieder laufen kann.“
Bochumer Familie ist in eine barrierefreie Wohnung umgezogen
Schuld? Nein: Von Schicksal, das es anzunehmen gilt, spricht die Ehefrau. Die Belastung ist immens. 18 Stunden hat ihr Tag. Den Sohn in die Kita bringen. Halbtagsjob als kaufmännische Angestellte bei Möbel Hardeck. Den Kleinen abholen und betreuen. Tägliche Besuche im Bergmannsheil. Jede Menge Schriftkram, Telefonate und Mails mit der Krankenkasse, Sanitätshäusern, Therapeuten und vielen mehr. Vor Mitternacht kehrt selten Ruhe ein.
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Die Arbeit trägt Früchte. Der Umzug aus Kornharpen ist vollbracht. Ewgenija Ruslichenko ist es gelungen, eine neue, barrierefreie Wohnung in Grumme zu finden. Erster Stock, aber mit Aufzug. In den nächsten Wochen sollen ein Krankenbett und therapeutische Hilfsmittel, etwa ein Badestuhl, eintreffen. Heißt: Alsbald kann Ruslan zurückkehren, in ein Zuhause, das er noch gar nicht kennt.
Der vierjährige Sohn freut sich riesig auf Papa
Wie es weitergeht? Ewgenija Ruslichenko ist hoffnungsvoll. Wie sie arbeitet ihr Mann bei Hardeck. „Er ist dort offiziell bis heute beschäftigt, so können wir Krankengeld beziehen. Das rechne ich der Firma hoch an.“ Vielleicht könne Ruslan ja irgendwann wieder arbeiten, wenn auch nicht wie zuvor als Küchenmonteur. Das Familienauto soll behindertengerecht umgerüstet werden. „Für Ruslan wäre es immens wichtig, wieder Auto fahren zu können.“ Womöglich könnte dazu eine erneute Spendenaktion gestartet werden.
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Das Wichtigste sei aber, dass die Familie wieder vereint ist. Der kleine Elias freue sich riesig auf Papa. Dann muss er nicht mehr allein auf Mama aufpassen. „Er klammert sehr“, meint Ewgenija Ruslichenko und lacht zum ersten Mal im WAZ-Gespräch. „Häufig sagt er: Ich kann dich nicht alleine lassen. Was ist denn, wenn du dir auch den Kopf stößt?“