Bochum-Stiepel. In der Dorfkirche in Bochum-Stiepel gibt es Jahrhunderte alte Decken- und Wandmalereien zu sehen. Diese zu erhalten ist gar nicht so einfach.
Wer an Sehenswürdigkeiten in Bochum denkt, nennt womöglich das Bergbaumuseum, das Planetarium oder auch das Ruhrstadion. Dabei gibt es abgelegen vom Zentrum eine Sehenswürdigkeit, bei der es sich sehr lohnt, genauer hinzuschauen: die Stiepeler Dorfkirche.
Die Decken- und Wandmalereien in der Stiepeler Dorfkirche sind heute eines ihrer Aushängeschilder. Dafür ist die Kirche bei Christen in Nordrhein-Westfalen bekannt. Das weiß auch Pfarrerin Christine Böhrer, die seit 2017 in der Gemeinde tätig ist. „Die Dorfkirche und ihre Wandmalereien waren ein Grund für meine Bewerbung hier”, erzählt sie. „Die Stiepeler Dorfkirche war mir schon während des Studiums ein Begriff.“
Decken- und Wandmalereien in der Dorfkirche Stiepel sind gut erhalten
Sobald man die Kirche betritt, wird man fast ein wenig erschlagen. Egal, in welche Richtung man sich dreht, überall ist Jahrhunderte alte Kunst zu finden. Sowohl die Kirchendecke als auch die Seitenwände zeigen Darstellungen vorrangig aus biblischen Geschichten und stammen aus dem 12. bis 16. Jahrhundert. Man steht quasi innerhalb einer Jahrhunderte alten Kunstsammlung, die beinahe frei von weltlichen Ereignissen scheint. Erst beim näheren Hinschauen erkennt man, dass auch hier die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Nicht bei allen Malereien kann man sehen, was sie darstellen sollen. Manche sind verblasst, andere zeigen Übermalungen oder Ausbesserungen.
Trotzdem sind die Decken- und Wandmalereien in der Stiepeler Dorfkirche gut erhalten. Warum das so ist, kann Klaus Thormählen erzählen. Seit vielen Jahren engagiert er sich als Kirchenführer und war bei den letzten großen Restaurationsarbeiten von 1999 bis 2002 dabei. So kann er einiges zu der Instandhaltung der Kirche berichten. Um die Decken- und Wandgemälde zu erhalten, würden die Wände regelmäßig kontrolliert und untersucht, erklärt Klaus Thormählen.
Bodenheizung und Kiesbett sollen jahrhundertealte Kunst schützen
Durch eine Bodenheizung und eine Doppeltür mit Schleusenfunktion soll eine konstante Temperatur generiert werden. Die Wände entlang ist ein Kiesbett eingerichtet, das die Wände und somit auch die Malereien darüber hinaus schützen soll.
Mit den jahrelangen Restaurationsarbeiten können teilweise auch die kreativen Prozesse und Entscheidungen nachvollzogen werden, die in die Decken- und Wandmalereien eingeflossen sind. Bei ihrem Rundgang durch die Kirchenräume fallen Pfarrerin Christine Böhrer immer neue besondere Bilder ein, bei denen man von späteren Abänderungen ausgehen kann.
Innerchristlicher Streit: Darf man Gott darstellen?
Unter anderem zeigt sie auf eine Malerei an der Ostwand der Kirche, die geschichtlich interessant ist. Auf den ersten Blick erkennt man einen segnenden Christus mit Schriftrolle in der Hand. Vor der Übermalung dürfte an dieser Stelle jedoch Gott in der Gestalt des „Vaters“ abgebildet gewesen sein. Vergleichbare Wandmalereien aus dem 12. Jahrhundert mit Gott als Vaterfigur sind aus Dorfkirchen in Nordfrankreich und Belgien bekannt.
„Es gab allerdings immer wieder Streit in der Kirche, was die Darstellung des Gottesvaters angeht, weil eines der Zehn Gebote aus der Bibel dagegenspricht”, erklärt Christine Böhrer. „Die Übermalung vor vielen Jahrhunderten geschah nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern aufgrund religiöser Überzeugung.“
Auch Klaus Thormählen ist überzeugt, dass es sich einmal um eine Gottvater-Darstellung gehandelt hat. „Rechts und links neben der Gestalt sind Kain und Abel zu sehen”, fügt er hinzu. „Neben Jesus Christus ergibt das keinen Sinn, weil Kain und Abel aus dem Alten Testament stammen. Eine Abbildung des Gottesvaters ist viel wahrscheinlicher.”
Aussalzungen an der Nordwand noch nicht behandelt
Außerdem könne man durch die Restaurationsarbeiten sehen, dass der ausgestreckte, segnende Arm des Christuslogos nachgearbeitet worden sei. Der Arm habe sich zunächst vor seinem Körper befunden, so Thormählen. Neben solchen Beispielen für erfolgreiche Instandhaltung gibt es allerdings auch Probleme. Erst Ende November 2022 hatte die WAZ über Feuchtigkeitsschäden von Malereien an der Nordwand der Stiepeler Dorfkirche berichtet.
Geschichte der Kirche
Die Dorfkirche Stiepel besteht seit mehr als 1000 Jahren. Damals ließ Gräfin Imma eine Eigenkirche auf dem Hof Stiepel bauen. Im 12. Jahrhundert ersetzte man die Saalkirche dann durch eine romanischen Basilika. Diesen Zeitpunkt sieht man auch als Start der Decken- und Wandmalereien in der Stiepeler Kirche. Sie sollen zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert entstanden sein.
Durch stetige Verbesserungen und Ergänzungen entwickelten sich die Decken- und Wandmalereien im Lauf der Jahre zu einem Jahrhundertprojekt. Erst im 15. Jahrhundert erfolgte die erste Einschränkung. Die Stiepeler Dorfkirche wurde zu einer gotischen Kirche umgebaut. Der Umbau brachte größere Fenster mit sich und machte die Kirche so heller und offener. Gleichzeitig wurde aber auch der Platz für Wandmalereien eingeschränkt.
Der komplette Stopp an Wandmalereien erfolgte 1698. Nach der Reformation 1610 wurden alle Wand- und Deckenmalereien mit rund 30 Schichten weißer Farbe übertüncht. Die Kunstwerke sollten erst rund 250 Jahre später wieder ans Licht treten. Zu der Zeit wurde sie unter Schichten von Kalkfarbe wiederentdeckt.
Davon ist auch die Darstellung einer Raubkatze bzw. Löwin mit ihrem Jungen betroffen. Sie stehe in Verbindung mit dem „Millstätter Physiologus”, erklärt Klaus Thormählen. Das ist ein Buch aus dem 11. Jahrhundert, welches 40 Tierarten abbildet. Darin gehen die Autoren davon aus, dass die Jungen von Löwen tot zur Welt kommen. Erst nach drei Tagen würden sie durch den Atem ihrer Eltern wieder zum Leben erweckt. Das Bildnis in der Stiepeler Dorfkirche zeigt diesen Vorgang. Es weist somit auf die Auferweckung Jesu Christi am dritten Tage hin.
Die sichtbaren Schäden an der Wand sind noch nicht behoben. „Wir müssen so lange warten, bis die Ursache geklärt ist”, erzählt Pfarrerin Christine Böhrer. Restauratoren wären zwar schon da gewesen, dürften aber erst richtig mit ihrer Arbeit beginnen, wenn gesichert sei, woher die Feuchtigkeit an der Nordwand der Kirche komme.