Bochum/Witten. Es ist der aktuell wohl mysteriöseste Kriminalfall der Polizei Bochum: Seit drei Jahren wird Anita S. vermisst. Sie soll getötet worden sein.

„Seit den frühen Abendstunden des 7. Dezembers 2019 wird Anita S. (35) aus Bochum-Günnigfeld vermisst. Gegen 17.30 Uhr an diesem Samstag telefonierte die junge Frau mit ihrer Mutter. Danach verliert sich die Spur der an der Schulte-Hordelhoff-Straße lebenden Bochumerin. Auch an ihrer Arbeitsstelle erschien sie nicht mehr.“

Diese Pressemitteilung veröffentlichte die Polizei am 12. Dezember 2019. Seit diesen Tagen ist die kaufmännische Angestellte spurlos verschwunden. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass sie getötet worden ist, und ermittelt wegen Totschlags. In ihrem dringenden Verdacht steht bis heute ein 36-jähriger Facharbeiter aus Witten, ein Bekannter der Frau. Er ist aber nicht geständig. Und eine Leiche haben die Ermittler in diesem Fall bisher nicht gefunden. Ein Tatmotiv ist ebenfalls unbekannt.

Verteidiger: „Mein Mandant sagt, dass er mit dem Verschwinden von Anita S. nichts zu tun hat.“

Trotzdem sagte Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann am Donnerstag auf WAZ-Anfrage: „Ich bin sicher, dass er der Täter ist.“ Es gebe sehr konkrete Anhaltspunkte, dass Anita S. gewaltsam zu Tode gekommen sei. Egbert Schenkel hingegen, der Anwalt des Beschuldigten, erklärte der WAZ: „Mein Mandant sagt, dass er mit dem Verschwinden von Anita S. nichts zu tun hat.“

Die Polizei fragt: Wo ist Anita S.? Zuletzt wurde sie am 7. Dezember in Witten gesehen.
Die Polizei fragt: Wo ist Anita S.? Zuletzt wurde sie am 7. Dezember in Witten gesehen. © Polizei Bochum

Wo ist Anita S? Ist der Beschuldigte der einzige Mensch, der diese Frage beantworten kann? Für die Kapitalabteilung der Bochumer Polizei ist dies der zurzeit wohl mysteriöseste Kriminalfall.

Staatsanwaltschaft setzt Belohnung aus

Die Staatsanwaltschaft hat 5000 Euro Belohnung ausgesetzt für Hinweise, die zu einer Klärung dieses Falles führen.

Die Behörde überlegt, ob sie auch das Landeskriminalamt in die Ermittlungen einbindet, im Rahmen von „Cold Cases“ („Kalte Fälle“). Dann würden auch weitere Kripo-Beamte auf den Fall blicken.

Einige Wochen nach dem Verschwinden schien es so, als ob der Fall bereits geklärt worden sei oder schnell geklärt werden könnte. Anfang Februar 2020 wurde der damals 33-jährige Wittener, der der Polizei bisher nicht bekannt war, auf dem Weg zur Arbeit verhaftet und in U-Haft gesperrt. Aus dem Vermisstenfall Anita S. war ein mutmaßliches Kapitalverbrechen geworden. Eine Mordkommission wurde eingesetzt – „MK Stausee“.

Vor ihrem Verschwinden hatte Anita S. in der Wohnung des Beschuldigten übernachtet

Bereits zwei Wochen nach dem Verschwinden der Frau hatte die Polizei den Kemnader See, in dessen Nähe sich die damalige Wohnung des Tatverdächtigen befindet, mit riesigem Aufwand abgesucht, mit Leichenspürhunden, Polizeibooten und Pferden. Zuletzt soll sie der Beschuldigte in seiner Wohnung, wo sie in der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 2019 übernachtet haben soll, lebend gesehen haben. Nach dem Telefonat am späten Nachmittag mit ihrer Mutter ist kein Lebenszeichen mehr von ihr bekannt. Auch weitere Suchaktionen auf und am Stausee blieben ohne Ergebnis.

Der Beschuldigte sagt: Er sei allein spazieren gewesen und bei der Rückkehr in seine Wohnung sei die Frau auf einmal weg gewesen. Wohin, wisse er nicht.

Auch dieses Foto von Anita S. aus Bochum-Wattenscheid hat die Polizei veröffentlicht.
Auch dieses Foto von Anita S. aus Bochum-Wattenscheid hat die Polizei veröffentlicht. © Polizei Bochum

Der Beschuldigte war nach elf Tagen U-Haft wieder frei gekommen. Der Tatverdacht war für die Haftrichterin nicht hart genug. Laut Verteidiger Schenkel sei auch „nicht ansatzweise ein Tatmotiv für ein Tötungsdelikt zu erkennen“. Seitdem ist der Beschuldigte auf freiem Fuß.

Trotzdem saß er Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann im Mai 2021 noch einmal gegenüber. Eine äußerst angespannte Situation. Der 36-Jährige war vor dem Amtsgericht Witten angeklagt, weil die Kripo wegen Anita S. seine Wohnung auf links gedreht und dort mehr als 3000 kinderpornografische Fotos und Videos entdeckt hatten.

Der Bochumer Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann hält den Beschuldigten für den Täter.
Der Bochumer Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann hält den Beschuldigten für den Täter. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Bachmann fragte ihn direkt zu Beginn dieses Prozesses: „Können Sie sagen, wo sich der Leichnam von Anita S. befindet?“ Ihre Mutter würde unbedingt ihre Tochter beerdigen wollen. Er bekam keine Antwort, der Angeklagte blickte schweigend und wie erstarrt nach unten. Für die Kinderpornografie wurde er zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Wegen der Fotos wurde er zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Totschlag verjährt in der Regel erst nach 20 Jahren. Allerdings ist es bis heute nicht objektiv gesichert, dass Anita S. wirklich tot ist. Die Kripo und Bachmann haben den Wittener aber weiter auf dem Schirm. Möglicherweise erscheint auch Kommissar Zufall in dem Fall – und Anita S. wird doch noch gefunden.