Bochum. Immer mehr Senioren werden Opfer des Enkeltricks. Eine Bochumerin (85) wehrt sich und hat ihre Bank verklagt. Ein Vergleich erscheint möglich.

Tragen Geldinstitute eine Mitverantwortung, wenn Kundinnen und Kunden Opfer von Trickbetrügern werden? Eine Gerichtsverhandlung am Donnerstag vor dem Bochumer Landgericht könnte als Präzedenzfall weitreichende Wirkung haben. Es geht um 27.000 Euro. Die beklagte Postbank will in Kürze entscheiden, ob sie einem Vergleichsvorschlag zustimmt.

Klage gegen Postbank: „Ich war in einem Tunnel“, sagt das Opfer

Maria Plempe kann es immer noch nicht fassen. „Ich war in einem Tunnel“, erinnert sich die 85-Jährige an jene beiden Tage im Mai 2021, in denen sie ihr nahezu gesamtes, in Jahrzehnten angespartes Vermögen verloren hat.

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Am Morgen erhält die Bochumerin einen Anruf. Ein angeblicher Staatsanwalt schildert, dass ihre Tochter Martina Schletter daheim in Brilon eine schwangere Fußgängerin angefahren habe. Das ungeborene Baby sei gestorben. Ihre Tochter sitze im Gefängnis (im Hintergrund ist ein Schluchzen zu hören). Gegen eine Kaution von 19.500 Euro könne sie aber freikommen.

Aus Sorge um Tochter greift 85-Jährige zur Lüge

Maria Plempe ist schockiert. „Ich hatte nur noch Sorge um Martina“, sagt sie. Ihre Tochter selbst anzurufen, ihren Mann oder ihren Sohn zu informieren, „das ist mir einfach nicht in den Sinn gekommen“.

Bei der Sparkasse hebt sie 25.000 Euro von ihrem Sparbuch ab. Gestückelt, in verschiedenen Filialen, weil sie überall nur maximal 5000 Euro ausgezahlt bekommt. Eine Mitarbeiterin fragt, wofür sie so viel Geld brauche. „Meine Tochter hat neue Möbel gekauft“, lügt Maria Plempe, ganz so, wie es ihr die Betrüger aufgetragen haben.

52.000 Euro werden an einen „Gerichtsdiener“ übergeben

Der „Staatsanwalt“ erhöht seine Forderung. Auf einem weiteren Sparbuch bei der Postbank liegen 28.000 Euro. Davon hebt sie 27.000 Euro ab. Der Bankmitarbeiter habe zwar ihren Ausweis sehen wollen, sonst aber keinerlei Fragen gestellt, schildert die Seniorin vor Gericht.

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Insgesamt 52.000 Euro übergibt Maria Plempe einem vermeintlichen „Gerichtsdiener Luka“ bei zwei Treffen vor ihrem Wohnhaus. Die Familie weiß davon nichts – bis klar wird, dass der Unfall der Tochter niemals passiert ist und die 85-Jährige wie schon Tausende weitere, meist ältere Opfer auf den sogenannten Enkeltrick hereingefallen ist.

Rechtsanwalt: Bank hat Warn- und Hinweispflicht verletzt

Das will Martina Schletter nicht einfach hinnehmen. In Brilon hat sie den Rechtsanwalt Oliver Brock eingeschaltet. Er hat die Postbank verklagt. „Grob fahrlässig“ nennt er das Verhalten des Mitarbeiters. „Er hätte in einem solchen Fall unbedingt nachfragen müssen, zumal eine Auszahlung vertraglich auf 2000 Euro beschränkt ist. Er verstieß gegen die Warn- und Hinweispflicht in den Compliance-Regeln der Bank“, meint Brock.

Sparkasse und Volksbank: Wir sind aufmerksam

Wenn es um Betrugsmaschen geht, seien die Beschäftigten in den 45 Geschäftsstellen „hoch sensibilisiert und aktuell informiert“, betont die Sparkasse Bochum. Viele Kunden seien seit Jahren bekannt. Ungewöhnliches Verhalten falle sofort auf. „Regelmäßig verhindern Mitarbeitende den Enkeltrick, indem sie bei hohen Bargeldauszahlungen die Verwendung kritisch hinterfragen.“

Auch die Volksbank verweist auf die Kundennähe. Die Teams werden regelmäßig geschult. Gerade bei älteren Kunden sei man aufmerksam und vorsichtig. „Vor einigen Jahren konnte dank unserer Mithilfe sogar ein Betrüger dingfest gemacht werden“, so Sprecher Thomas Schröter.

Eine Postbank-Anwältin wies das bei der Güteverhandlung am Donnerstag zurück. Formal sei die Abhebung völlig korrekt gewesen. Das Abheben größerer Summen sei gerade bei älteren Kunden nicht ungewöhnlich. Der Mitarbeiter beteuere, auch diese Kundin befragt zu haben. Maria Plempe bestreitet das, sagt jedoch: „Selbst wenn er gefragt hätte, hätte ich auch ihn anlügen müssen.“ Die Betrüger hätten per Dauer-Handyempfang alles mitgehört und klare Anweisungen erteilt.

Rechtsanwalt Oliver Brock aus Brilon vertritt die 85-jährige Bochumerin, die Opfer des „Enkeltricks“ wurde.
Rechtsanwalt Oliver Brock aus Brilon vertritt die 85-jährige Bochumerin, die Opfer des „Enkeltricks“ wurde. © WP | Benedikt Schülter

Richter schlägt Zahlung von 20 bis 25 Prozent als Vergleich vor

Die Familie besteht auf Zahlung der kompletten 27.000 Euro, zeigt sich aber „gesprächsbereit“ – ebenso wie die Postbank-Anwältin, die zwar jegliche Pflichtverletzung und Mitverantwortung für den Betrug zurückweist, jedoch eine „Kulanz gerade gegenüber langjährigen Kunden“ in Aussicht stellt.

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Vorsitzende Richterin Katja Nagel berücksichtigte in ihrem Vergleichsvorschlag beide Positionen. Die Postbank soll 20 bis 25 Prozent der Schadenssumme zahlen (das wären zwischen 5400 und 6700 Euro). Damit könne man wohl leben, so die erste Reaktion von Mutter und Tochter, während die Postbank-Anwältin eine zeitnahe Antwort in Aussicht stellte. Auch die Postbank habe Interesse an einer schnellen Lösung.

Weißer Ring: Erste Klage wird weiteren Opfern Mut machen

Stimmt die Postbank dem Vergleich zu, würde das auch weitere Opfer von Enkeltrick-Betrügern ermutigen, juristisch gegen ihre Geldinstitute vorzugehen, sagt Ingo Friedrich von der Opferschutzorganisation „Weißer Ring“. „Die Zahl der Betrugsfälle steigt. Die Banken haben eine Mitverantwortung. Dies ist das erste Mal, dass ein Opfer die Initiative ergreift. Gut so!“