Bochum-Gerthe. Gerther Familie Müntz erlitt durch die Nazis Traumata. Ihre Stolpersteine wurden in Bochum im Beisein von Verwandten aus fünf Ländern verlegt.

Leo und Bertha Müntz wohnten mit ihren Kindern Siegfried, Alwin und Anna Rosa in Gerthe an der Lothringer Straße 30. Wenige Häuser weiter betrieb Leo Müntz ein florierendes Möbel- und Manufakturenwarengeschäft. Die Familie wurde von den Nationalsozialisten wirtschaftlich ruiniert, auseinandergerissen und vertrieben. Am Dienstag versammelten sich rund 15 Nachfahren der Kaufmannsleute an ihrem ehemaligen Wohnort, wo fünf Stolpersteine für ihre Vorfahren verlegt wurden.

Die Verwandten reisten aus Paris, Montreal, Barcelona, Jerusalem und Leeds an, darunter drei Enkel von Bertha und Leo: Andrew Muentz, Tracey Levy und Laurence Sigal-Klagsbald. Die 64-jährige Laurence Sigal-Klagsbald aus Paris stand sichtlich bewegt vor den Stolpersteinen, wovon einer ihrer Mutter Anna Rosa gewidmet ist, und sagte: „Das ist wirklich wie ein zweites Begräbnis.“ Dann betete sie auf Hebräisch, umringt von zahlreichen Gästen, darunter auch Vertreter der Jüdischen Gemeinde Bochum, Herne, Hattingen.

Internationaler Besuch in Bochum war Höhepunkt des Projekts

Der internationale Besuch ist Ergebnis des Kohlengräberland-Projekts, das Lehrerin Isa Tappenhölter und Projektleiter Ulrich Kind seit über zwanzig Jahren mit Schülern der Erich-Fried-Gesamtschule Herne durchführen.
Die Schüler hatten sich in vielen Recherchen dem Schicksal von Familie Müntz gewidmet. Nachdem die Stolpersteine verlegt waren, ließen sie das Leben der Familie in der evangelischen Christuskirche mit Wort und Bild zweieinhalb Stunden aufleben.

Besonders der Abschied von den eigenen Kindern machte die Not der Eheleute Müntz deutlich. Die Söhne Siegfried und Alwin entkamen den Nazis in einem Kindertransport, begleitet von Else Hirsch, Lehrerin der jüdischen Schule. Die Eltern blieben mit der kleinen Anna Rosa zurück und verließen Deutschland 1939 mittellos als sogenannte staatenlose Polen. 1943 trennten sich die Eltern auch von der elfjährigen Tochter, die mit Fluchthelfern zu einer Gastfamilie in die Schweiz gelang. Jahre später fanden sich Eltern und Kinder wieder.

Enkelin der Bochumer Kaufleute hatte zuerst gemischte Gefühle

Die Nachfahren konnten der detaillierten Präsentation in einem auf Englisch übersetzten Heft folgen und das "Zeitgeist-Ensemble Ruhr" bot berührende Lieder wie "Die Moorsoldaten". "Es ist nicht einfach, mit der Geschichte unserer Familie konfrontiert zu werden, aber es ist gut zu wissen, was passiert ist", sagte Ur-Enkelin Ariane Cohen-Tannoudji (26), die mit ihren Geschwistern aus Montreal anreiste. Ihr Cousin Philippe Sigal (37) ergänzte: "Es gab in der Familie eine Menge Schweigen über die Geschichte und ich bin glücklich, dass die Erinnerung an unsere Familie gewürdigt wird."

Seine Mutter Laurence Sigal-Klagsbald schilderte in einer Rede ihre gemischten Gefühle, als sie zunächst ein Video von Projektteilnehmern mit Porträts ihrer Großeltern aus Deutschland erhielt. Dann verdeutlichte sie, dass diese Arbeit für ihre Familie wertvoll sei: "Wir sind Ihnen dankbar für Ihre gründliche Recherche, die unsere Großeltern und unsere Familie würdigen. Vor allem aber verkörpern Sie die Hoffnung, dass die jungen Generationen durch die Erinnerungsarbeit dafür sorgen, dass unsere Welt keine Schrecken von solchem Ausmaß mehr erfährt."

Kohlengräberland-Projekt

Seit dem Schuljahr 1997/1998 wird das Unterrichtsfach „Kohlengräberland“ (von 1997-2003 genannt „Ruhrgebiet vor Ort“) an der Erich-Fried-Gesamtschule Herne im Rahmen des Ergänzungsunterrichts angeboten.

Ziel dieses Faches ist es, die Teilhabe der Schüler am öffentlichen Leben, bürgerschaftlichem Engagement und Mitwirkung bei der lebendigen Erinnerungskultur ihrer Stadt. Das Unterrichtsprojekt ist ergebnis- und produktorientiert. Informationen unter: https://www.kohlengraeberland.de/