Bochum. Bis 18. Mai ist Bochum Hauptstadt des internationalen Figurentheaters. Die Eröffnung mit „Pinocchio“ weiß zu begeistern – aber auch zu verstören.
Lange her, seit der Kasper auf dem Jahrmarkt allen unartigen Kindern die Rute zeigte. Das Puppenspiel unserer Tage ist nicht selten zeitkritisch, herausfordernd und von irritierender Schönheit. 15 Inszenierungen aus aller Welt sind noch bis 18. Mai beim Figurentheaterfestival Fidena zu Gast, das nach zwei Jahren Corona-Pause am Wochenende groß gestartet ist. Neben Hattingen, Marl und Recklinghausen ist Bochum erneut der Hauptspielort, die Jahrhunderthalle wird erstmals zum Festivalzentrum.
Fidena-Festival in Bochum mit bunter Parade eröffnet
Schon eine kleine Tradition ist es, das Festival mit einer bunten Parade durch die Innenstadt zu eröffnen. Unvergessen bleibt die 18 Meter hohe Figur „Punch Agathe“, die zum Auftakt der letzten Fidena 2018 ihren langen Hals in Richtung Schauspielhaus-Dach reckte. Diesmal scheint der Umzug etwas kleiner, aber deswegen nicht weniger reizvoll.
Fidena-Festival läuft bis 18. Mai
Das Fidena-Festival steht in diesem Jahr unter dem Motto „Befragung der Welt“. Das Programm ist vielfältig: So gibt es die Videoinstallation „Guilty Landscapes“ für jeweils nur einen Besucher in den Kunsthallen an der Rottstraße 5 (bis 12. Mai jeweils von 13 bis 21 Uhr) oder das Stück „Curiosa“ für Babys und Kleinkinder (10. und 11. Mai jeweils um 10 und 15 Uhr im Dampfgebläsehaus).
Karten und Infos: 0234 / 47720 und fidena.de
Mit viel Getöse und angeführt vom Teatro Pavana aus Amsterdam ziehen eine majestätische Stelzenläuferin, imposante Giraffen, ein beißlustiges Krokodil und diverse skurrile Figuren durchs Bermuda-Dreieck, das schon lange nicht mehr so nach schönstem venezianischem Karneval aussah. Auf der Bühne am Konrad-Adenauer-Platz kommt es zu einem umjubelten Big-Band-Konzert.
Zur Eröffnung kommt eine Theatergruppe aus Frankreich
Dass Figurentheater indes auch gehörig verstören kann, zeigt direkt die Eröffnungsinszenierung der französischen Gruppe „La Compagnie S’Apelle Reviens“ im Theater Total. Die Reaktionen der Zuschauer auf die rund einstündige Performance sind gemischt, von stehenden Ovationen bis zu erschrockenem Kopfschütteln ist alles dabei. Einige verlassen den Saal vorzeitig.
Bunte Parade der Puppenspieler
In „Pinocchio (Live) #2“ sieht man eine Gruppe fröhlicher Kinder, die in ein Labor mit Menschen in grauen Kitteln und riesigen Holzschuhen verfrachtet werden. Ganz langsam verwandeln sich die Kinder in leblose Marionetten: Sie werden mit weißer Farbe besprüht, bekommen Fäden an Arme und Beine genäht und unwirkliche Augen aufgeklebt. Jeglicher Kraft beraubt, sacken sie auf ihren Stühlen wie nasse Säcke in sich zusammen, erst gegen Ende erwachen ihre Gliedmaßen an Fäden baumelnd zu einer Art Leben.
Beeindruckende und beängstigende Bilder
Aus Kindern werden Zombie-Puppen: In ihrer Umkehrung des Pinocchio-Mythos zeigt Regisseurin Alice Laloy bedrückende Bilder, sie scheut die Zuspitzung nicht, was die Performance zwar spannend, aber auch reichlich gruselig macht. Verblüffend ist die perfekte Körperbeherrschung der jungen Darsteller, selten sahen Tote auf der Bühne so beeindruckend und so beängstigend aus.
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Dagegen fast schon klassisches Figurenspiel bietet der kanadische Marionetten-Magier Ronnie Burkett im Anschluss in der Turbinenhalle. „Forget me not“ wird als europäische Erstaufführung gezeigt. Schnell wird klar: Der Mann ist eine Urgewalt. Im Alleingang stürmt er fast zweieinhalb Stunden lang den großen Saal, zaubert immer wieder neue, fantastisch geformte Puppen aus seinen roten Holzkisten.
Puppen-Guru Ronnie Burkett stürmt das Dampfgebläsehaus in Bochum
Die Zuschauer (jeder bekommt leihweise eine Handpuppe ausgehändigt) werden dabei zu seinen Komplizen und müssen dem Meister immer wieder hilfreich zur Hand gehen: Mal halten sie das Licht, mal stellen sie die Musik an, mal führen sie seine Marionetten.
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Worum es genau geht, ist bisweilen allerdings nur zu erraten, denn Burkett spricht schnelles Englisch und nuschelt viel. Von verlorenen Liebesbriefen und zauberhaften Märchen ist oft die Rede, aber so wichtig ist das wohl gar nicht. Denn trotzdem die Aufführung einige Längen hat: Diesem Puppen-Guru schenkt man gern einen ganzen Abend (wieder am 9. und 10. Mai jeweils um 20 Uhr).
Eine Fotostrecke finden Sie auf waz.de/bochum