Bochum. Statt des Kreuzwegs sind in der Propsteikirche Bochum jetzt Bilder zu sehen, die Anja Micke in einer Notschlafstelle gemacht hat – beeindruckend.

Vom harten Leben auf der Straße erzählt eine bemerkenswerte Fotoausstellung, die am Donnerstag, 10. März, in der Propsteikirche St. Peter und Paul in der Innenstadt eröffnet wird. Die Bochumer Fotografin Anja Micke hat dafür 14 großformatige Porträts von wohnungslosen Menschen in der Kirche platziert, die jetzt genau dort zu finden sind, wo üblicherweise der Kreuzweg Jesu‘ nachgezeichnet wird. Provokant ist das für die Pfarrei keineswegs.

Die (fast) komplett in Schwarz-Weiß gehaltenen Fotografien sind beeindruckend. Zumeist Männer jeden Alters sind es, die in Bochum seit einer Weile ohne Obdach leben. Anja Micke rückt mit der Kamera extrem nah an sie heran, zeigt ihre Wunden und Furchen, aber oft auch ihren Charme und ihren Witz. Keinesfalls trostlos sollen die Bilder wirken, erklärt die Fotografin, die seit einer Weile im Fliednerhaus direkt neben dem Ruhrstadion arbeitet.

Rahmenprogramm zur Ausstellung

Die Ausstellung „Ich bin“ in der Propsteikirche St. Peter und Paul (Untere Markstraße) wird von einem Rahmenprogramm begleitet. Eröffnet wird die Fotoschau am Donnerstag, 10. März, um 10 Uhr. Am Sonntag, 13. März, gibt es einen festlichen Gottesdienst.

Autorin Christina Bacher stellt am Montag, 21. März, um 16.30 Uhr ihr Buch „Die Letzten hier“ vor. Zum Abschluss gibt es am Freitag, 1. April, um 19.30 Uhr ein Konzert mit elektronischen Pslamvertonungen von Luis Weiß. Der Eintritt ist frei. Anmeldungen: esther-otterbach@bistum-essen.de

Die Fotos von Anja Micke gibt es auch als großen Bildband: „Ich bin“ (49,90 Euro) auf anjamicke.de

Ausstellung in Bochum zeigt Porträts von wohnungslosen Menschen

Die meisten Bilder seien während des ersten Lockdowns 2020 in der Notschlafstelle entstanden, erzählt sie. „Dort begegnete ich während meiner Nachtschichten den Menschen und ihren Geschichten. Einige waren auf der Durchreise, andere kamen öfter.“ Schnell seien sie sich nähergekommen: „Manche von ihnen haben sich sofort geöffnet. Dabei entstanden diese Bilder. Die Begegnungen mit den Menschen berührten mich zutiefst, denn sie spiegeln das wider, was im Leben wirklich zählt: Das Wesentliche in uns.“

Einer der Porträtierten ist Reiner, der richtig stolz auf das riesige Foto ist, das jetzt von ihm in der Propsteikirche hängt. „Ich habe mich gefreut, als Anja auf mich zukam und mich fragte, ob ich von ihr fotografiert werden möchte“, sagt er.

Zurück in eine eigene Wohnung

Reiner erzählt, dass er lange im Haus seiner Mutter gelebt habe, ehe er wegen Problemen mit der Miete ausziehen musste – und plötzlich auf der Straße stand. Zunächst verbrachte er die Nächte im Fliednerhaus, jetzt ist er im Zillertal untergekommen. „Dort gibt es einen schönen großen Teich, was mir sehr gefällt, denn ich bin sehr naturverbunden“, meint er. Trotzdem: Die Sehnsucht nach einer eigenen Wohnung ist groß. Eines Tages hofft Reiner, diesen Schritt machen zu können, obwohl dies durchaus auch mit Sorgen verbunden ist: „Im Zillertal leben viele meiner Freunde, in einer eigenen Wohnung wäre ich ganz allein.“

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Wer sich die Ausstellung genau anschaut, entdeckt eine Besonderheit. Während alle Bilder des Kreuzwegs in Schwarz-Weiß gehalten sind, strahlt das Foto einer Frau direkt über dem Altar farbig. Birgit heißt sie: „Ich habe sie auf der Straße kennengelernt, und das war eine ganz besondere Begegnung“, erzählt Anja Micke. Auf dem wirklich zu Herzen gehenden Porträt, das ihr von Birgit gelang, sieht es so aus, als würde sie beten.

Beeindruckende Porträts von wohnungslosen Menschen gelangen der Fotografin Anja Micke. Jetzt werden die Bilder in der Propsteikirche St. Peter und Paul in Bochum ausgestellt.
Beeindruckende Porträts von wohnungslosen Menschen gelangen der Fotografin Anja Micke. Jetzt werden die Bilder in der Propsteikirche St. Peter und Paul in Bochum ausgestellt. © Anja Micke

Die Bilder des Kreuzwegs für diese Ausstellung durch Porträts von Obdachlosen zu ersetzen, ist für die Pfarrei kein Widerspruch. „Der Kreuzweg zeigt, wie die Menschen mit Jesus umgegangen sind, wie sie ihn ausgegrenzt und gequält haben“, sagt der Diakon Winfried Rottenecker. Hier gebe es durchaus Parallelen zum Umgang mit Obdachlosen heutiger Zeit. „Wir sind alle von Gott geliebte Kinder, das schließt Obdachlose unbedingt mit ein.“

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Tagesaufenthalt in der Seitenkapelle

In der Seitenkapelle der Propsteikirche gibt es seit Mai 2020 einen Tagesaufenthalt der Bahnhofsmission, der täglich geöffnet ist und bestens genutzt wird. Die Wärmestube ist in das Kälte- und Hitzekonzept der Stadt Bochum aufgenommen worden. Jeweils mittwochs von 10 bis 12 Uhr gibt es hier Konzerte mit der Harfenistin Louise Augoyard.