Bochum. Gastronom Mahmut Güneş gibt nicht auf. Gegen das sehr harte Urteil der türkischen Justiz will er angehen. Die SPD fordert einen Reiseboykott.

Der am Dienstag in der Türkei wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“ zu knapp drei Jahren Haft verurteilte Bochumer Mahmut Güneş wird in die Berufung gehen. Das teilte eine Anwältin des Kurden mit deutschem Pass am Mittwoch mit. Das Gericht im zentralanatolischen Kirsehir hatte den 46-Jährigen in zwei Fällen für schuldig befunden. Ein Jahr Haft lautete das eine Urteil, 21 Monate und 22 Tage Haft ein weiteres.

Fast drei Jahre Haft für Gastronom aus Bochum: Familie hofft auf Berufung

Güneş, der in Herne eine Pizzeria betrieben hatte, bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Er habe lediglich auf Twitter Beiträge von kurdischen Journalisten geteilt, die kritisch über den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien geschrieben haben, sagt die Bochumer Anwältin Besra Güler. Es handele sich dabei um die Journalisten Günay Aslan, Cahit Mervan und Ferda Cetin. In ihren Artikeln sei über die kurdischen Kämpfer der Organisationen YPG und YPJ berichtet worden.

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„YPG und YPJ gelten für den türkischen Staat aber als verlängerter Arm der PKK“, erklärt sich Güler das harte Urteil. Die kurdische Arbeiterpartei PKK ist in der Türkei verboten. Sie wird von der Türkei, den USA und der Europäischen Union als terroristische Vereinigung eingestuft.

„Wir sind alle sehr traurig und schockiert“, sagt Tochter Zeliah Güneş. Die gesamte Familie habe sich große Hoffnungen auf einen Freispruch gemacht. Die Verhandlung in Kirsehir sei aber eine Farce gewesen. Ihr Vater, der per Video aus dem Gefängnis in Kayseri zugeschaltet war, und auch seine Anwältin seien kaum zu Wort gekommen.

Der Bochumer Mahmut Güneş sitzt seit Ende Juli in einem türkischen Gefängnis. Eine große Welle der Solidarität formt sich derweil in Bochum.
Der Bochumer Mahmut Güneş sitzt seit Ende Juli in einem türkischen Gefängnis. Eine große Welle der Solidarität formt sich derweil in Bochum. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Pizzabäcker bei Einreise in die Türkei verhaftet

„Der sehr junge Richter hat meinen Vater gar nicht aussprechen lassen und ihn regelrecht angeschrien. Das Urteil stand bereits vor der nicht einmal einstündigen Verhandlung fest“, so Zeliah Güneş. Die Vorwürfe gegen ihren Vater seien haltlos. „Papa ist weder in einer Partei noch anderweitig politisch aktiv.“

Der Bochumer Pizzabäcker war direkt bei seiner Einreise in die Türkei am 31. Juli am Flughafen in Kayseri verhaftet worden. Wie die „taz“ berichtet, stand er bereits zuvor in Deutschland unter Beobachtung des türkischen Geheimdienstes. In der Türkei seien ihm Fotos vorgelegt worden, auf denen er auch als Unterstützer eines PKK-Hungerstreiks zu sehen sei.

WAZ-Informationen zufolge geht es um eine Aktion aus dem Frühjahr 2019. Zahlreiche Kurden wollten bessere Haftbedingungen für den PKK-Chef Abdullah Öcalan erreichen. In ersten Berichten nach der Verhaftung Güneş’ war auch die Rede davon, dass der Bochumer den türkischen Präsidenten Recep Erdogan als Statthalter der USA bezeichnet haben soll. Seinen Anwälten in Bochum zufolge ist dieser Vorwurf aber nicht Teil der Anklageschrift.

Große Welle der Solidarität in Bochum

In Bochum gibt es derweil eine große Welle der Solidarität. Nach einer Mahnwache mit rund 150 Menschen vor dem Rathaus am Montag fordern die Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer (SPD), Max Lucks (Grüne), Olaf in der Beeck (FDP) und Sevim Dagdelen (Linke) in einem Offenen Brief die Freilassung von Mahmut Güneş.

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Der Bochumer bezahle die Ausübung seines Rechtes auf freie Meinungsäußerung mit seiner persönlichen Freiheit. „In keinem Land der Welt sollten Menschen aufgrund ihrer kritischen Haltung der Regierung gegenüber verhaftet werden“, schreiben die Politiker. Alle diplomatischen und rechtlichen Möglichkeiten müssten genutzt werden, um Güneş möglichst schnell aus der türkischen Haft zu befreien und ihm seine Rückkehr nach Bochum zu ermöglichen.

Politiker fordern Bundeskanzlerin Merkel zum Handeln auf

„Die Bundesregierung darf dem Geiselnehmer Erdogan nicht länger mit deutschen Waffenlieferungen und Wirtschaftshilfen der EU Vorschub leisten und muss deutsche Staatsbürger vor politischer Verfolgung durch den Autokraten und sein klerikal-faschistoides Regime schützen“, erklärt Sevim Dagdelen.

Die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss fordert ebenso wie der Grüne Max Lucks, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem geplanten Besuch beim türkischen Präsidenten am kommenden Samstag (16.) für die Freilassung des Bochumers Mahmut Güneş einsetzen solle. Merkel dürfe der türkischen Erpressungspolitik und den politisch motivierten Geiselnahmen Ankaras nicht länger schweigend zusehen.

SPD-Chef ruft zum Boykott von Reisen in die Türkei auf

Serdar Yüksel, der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bochum ruft gar zu einem Reiseboykott in die Türkei auf. „Da die Willkür der türkischen Justiz jeden von uns treffen kann, rate ich aktuell dringend von Reisen zu touristischen Zwecken in die Türkei ab. Mahmut Güneş ist deutscher Staatsbürger in türkischer Haft nach einem Skandalurteil. Niemand ist mehr sicher, wenn er in die Türkei einreist“, sagt der Landtagsabgeordnete.

Yüksel beruft sich auf Zahlen des Auswärtigen Amtes aus August 2021: Zu diesem Zeitpunkt saßen in der Türkei insgesamt 119 deutsche Staatsbürger in Haft oder durften das Land nicht verlassen. Konkret waren 61 von ihnen in Haft, 58 durften nicht ausreisen. „Auch wenn nicht klar ist, wie viele Menschen davon aus politischen Gründen festgehalten wurden, lassen diese Zahlen Schlimmes befürchten. Ein Reiseboykott könnte die Türkei endlich zum Umdenken zwingen.“