Bochum. Im Theater Rottstraße in Bochum hatte „Kinder der Sonne“ Premieren. Gorkis Klassiker wird überzeugend in einen Corona-Zusammenhang gebracht.
Was freies Theater in diesen denkwürdigen Pandemie-Wochen zu leisten vermag, das zeigt gerade eine bemerkenswerte Aufführung im Theater Rottstraße 5 in Bochum. Auf der kleinen Bühne zu sehen: ein passgenauer, vorzüglich gespielter Kommentar auf die Corona-Lage, dargeboten anhand eines Stücks, das weit über 100 Jahre alt ist.
Bochum: Neuauflage eines Bühnen-Klassikers von Maxim Gorki
„Wir, Kinder der Sonne“, so der Titel, basiert auf dem Theaterklassiker von Maxim Gorki, ohne jedoch dessen reichhaltiges Ensemble zu übernehmen. Im Theater Rottstraße bricht Regisseur Alexander Ritter das Drama auf drei Kernfiguren herunter: auf die unglückliche Jelena, ihre Cousine Lisa sowie auf eine gewisse Olga, die bei Gorki nicht vorkommt, aber offenkundig ein wenig der Figur des Malers Wagin nachempfunden ist.
So geht es weiter
Mit „Die Wand“ folgt am Freitag, 3. Dezember, die letzte Premiere im Theater Rottstraße 5 in diesem Jahr. Das Stück basiert auf dem Roman von Marlen Haushofer. Darin findet sich eine Frau eines Morgens auf einer verlassenen Berghütte wieder – komplett isoliert vom Rest der Welt.
„Die Wand“ wurde bereits 2012 erfolgreich mit Martina Gedeck verfilmt. An der Rottstraße zeigt Schauspielerin Lea Kallmeier das Stück als großes Solo.
Alexander Ritter taucht das Spiel in eine traumschöne Szenerie: Auf einer hellen Bühne, die an die größten Tschechow-Erfolge von Altmeister Peter Stein erinnert, kreisen die drei Figuren in nur rund 70 Minuten umeinander. Alles ist da: An einem langen Tisch köchelt der Samowar, sogar ein Birkenbäumchen ist im hinteren Teil aufgestellt, ganz wie es sich für eine gepflegte Inszenierung russischer Klassik gehört. Eine solch werkgetreue Ausstattung findet man im Theater Rottstraße, wo die Stücke gern auch mal gegen den Strich gebürstet werden, nur ganz selten.
Denkbar knapp an Personal und Spiellänge kann Gorkis opulentes Drama natürlich nur in Ansätzen aufleuchten. Und doch: In betriebsam geschwätziger Untätigkeit verharren auch diese drei Figuren zwischen Selbstmitleid und mittleren Beziehungsproblemen, ganz so wie es der Autor beschrieben hat.
Im Angesicht der aufziehende Katastrophe
Die Jelena der Monika Bujinski bewahrt auch angesichts aufziehender Katastrophen die Contenance, während der jungen Lisa (Yvonne Forster) langsam die Sinne schwinden. Ihr letzter Anker ist die bodenständige Olga (Hella-Birgit Mascus). Alle drei spielen das rasend gut.
Doch es erstaunt dann schon, wie zwingend aktuell Gorkis Stück noch immer ist. Während im Haus noch bei Sekt und Tee über die Kunst und das Leben sinniert wird, braut sich draußen der Aufstand des gemeinen Volkes zusammen. Gorki schrieb sein Stück im Angesicht der Cholera-Pandemie von 1892 an der unteren Wolga, wo die Bevölkerung gegen die herrschende Klasse aufbegehrte – und offensichtlich sind die Parallelen in unsere Tage, wo Corona-Leugner zu Tausenden ihren Hass auf die Straße tragen.
Inszenierung mit Sinn für bedrohliche Atmosphäre
Alexander Ritter reichert sein Gorki-Update mit Texten etwa von Carolin Emke und Kae Tempest an, die passen wie die berühmte Faust aufs Auge. Mit Sinn für bedrohliche Atmosphäre lässt er die Bühne am Ende in dichtem Nebel zu den elegischen Klängen der isländischen Band Sigur Ros versinken, während Yvonne Forsters Lisa beinahe bebend für einen Zusammenhalt der Gesellschaft auch in stürmischen Zeiten plädiert: „Wenn alles fließt und du nichts mit Sicherheit weißt, halt dich an mir fest“, sagt sie. „Halt stand, vertraue dir und lass es ansteckend sein.“
Der Jubel im gut besuchten Saal ist riesig. Über welch wichtige Stimme freies Theater verfügt, das war schon lang nicht mehr so deutlich wie an diesem Abend. Auch nach der langen, kräftezehrenden Lockdown-Pause ist auf die Theatermacher an der Rottstraße Verlass.
>>> Wieder am Sonntag, 5. Dezember, um 19.30 Uhr. Karten (14, erm. 7 Euro): karten@rottstr.de