Bochum. Im Thürmer-Saal Bochum erlebte das Publikum große Klavierkunst mit Elisabeth Leonskaja. Nach der langen Corona-Abstinenz war das dringend nötig.
Elisabeth Leonskaja nennt man die „Grande Dame der Klavierkunst“, warum, das wurde beim Auftritt der russischen Künstlerin im Thürmer-Saal Bochum wieder einmal deutlich. Nicht nur, dass die Leonskaja auf der Bühne so souverän wirkt, als bewegte sie sich in ihrem Wohnzimmer. Vielmehr war ihr Schubert-Abend der Beweis für die Klasse und Ernsthaftigkeit einer Musizierhaltung, die leider immer seltener wird.
In Bochum erlebte das Publikum Klavierkunst mit Elisabeth Leonskaja
Das Publikum hieß die 76-Jährige mit reichlich Applaus willkommen, noch bevor der erste Ton gespielt war. Verständlich, denn die Leonskaja war schon oft in Bochum zu Gast und hat hier, wie auf der ganzen Welt, ein treues Publikum, das ihre artistische Präsenz ebenso schätzt wie ihr unprätentiöses Auftreten. Ein Vertrauensvorschuss also, aber gerechtfertigt. Denn man merkt stets auch umgekehrt, dass die Künstlerin ihrerseits großes Vertrauen zum Publikum mitbringt – und sich ihrer Verantwortung bewusst ist, nicht nur gegenüber der Musik, sondern auch gegenüber ihrer Profession.
Mehr noch als bei anderen bedeutenden Pianisten hat man bei Elisabeth Leonskaja stets das Gefühl, dass es ihr nicht (mehr) um sich selbst geht. Sondern, dass sie ihre Zuhörerinnen und Zuhörer für die Dauer eines Konzerts in eine andere Sphäre eintauchen lässt. Sie wolle, wie sie einmal sagte, „die Lebenswahrheit und die Reinheit, die in der Musik stecken, zur Geltung bringen“.
Schubert-Klavierabend in Bochum lässt keine Wünsche offen
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Franz Schubert passt da natürlich ausgezeichnet. Auf dem Programmzettel standen mit den Sonaten Nr. 19 c-Moll D 958, Nr. 20 A-Dur D 959 und Nr. 21 B-Dur D 960 drei Werke, die in Schuberts letzten Lebensmonaten zwischen Frühjahr und Herbst 1828 entstanden. Ein beinahe kammermusikalischer Gestus und ein reicher Gefühlsausdruck zeichnen sie aus. Hier werden tiefe Sachen leichtgewichtig ausgedrückt; das angemessen zu gestalten, ist die große Kunst.
Elisabeth Leonskaja beherrscht sie. Schon der beherzte Einstieg in die c-Moll-Sonate war wie ein Statement, sich voll auf das von Schubert praktizierte Aufreißen vertrauter Fassaden einzulassen. Lebendig auch der Eindruck im Finale, als sich die Künstlerin mit wissend-amüsiertem Lächeln den galoppartigen Rhythmus hingab, der das Rondo-Themas scheinbar endlos fortzuspinnen scheint. Von makelloser Präzision und Tiefe war die A-Dur-Sonate. Nach dem fein ausgemalten Finale des 1. Satzes ließ die Leonskaja das berühmte Andantino des 2. Satzes in eher herber Farbgebung, aber nicht minder betörend aufleuchten.
Die B-Dur-Sonate schließlich gilt als jene Komposition, die Franz Schuberts Rolle als Nachfolger der Klassiker Mozart und Beethoven am deutlichsten bekundet. Zugleich spricht sie den ureigenen, tief persönlichen Ton des Komponisten am deutlichsten aus.
Nächstes Konzert
In der Reihe der Thürmer-Konzerte geht es am Samstag, 13. November, um 20 Uhr weiter. Zu Gast im Thürmer-Saal im Folkwang Zentrum, Friederikastraße 4, ist Ziyu Liu. Das Programm seines Klavierabends steht noch nicht fest.Der 22-Jährige Nachwuchskünstler wechselte 2015 aus Peking an die Hochschule für Musik nach Hannover zu Ewa Kupiec und vervollkommnet seine Ausbildung seit 2017 bei Arie Vardi. Liu ist 1. Preisträger der Gian Battista Viotti Music Competition, Vercelli 2019.Eintritt 23/erm. 18 Euro. Kartenvorverkauf und -reservierung derzeit nur telefonisch unter 0234 333 900 oder auf www.thuermer-konzerte.de
Ein entrückter Schwanengesang auch, entstanden kurz vor dem Tod des 31-jährigen Genies. Beinahe orchestral empfunden sind das Hauptthema und das Seitenthema mit seiner durch die Stimmen wandernden, klagenden Weise. Die großen Steigerungen der Durchführung nahm die Leonskaja mit Verve; unter dem hingebungsvollen Zugriff der nicht eben zierlichen Künstlerin tönte der Thürmer-Flügel einmal mehr wie ein ganzes Orchester.
Großer, großer Applaus für einen großen Klavierabend. Wie gut der Kunstgenuss allen – Pianistin wie Publikum – tat nach der langen Corona-Abstinenz, das war mit Händen zu greifen.