Bochum. Seit unglaublichen 88 Jahren lebt eine Bochumerin in ihrer Wohnung. „Wer bietet mehr?“, fragt die WAZ. Schon bald könnte die Bestmarke fallen.
Wie oft sie wohl die roten Holztreppen im Flur auf- und abgestiegen ist? „Das lässt sich nicht mehr zählen“, sagt Marianne Becker, streicht über ihre schmucke Perlenkette und lacht. Sicher ist: Schon als Mädchen ist sie durch das Treppenhaus gefegt. Nach oben und unten geht’s für die Mieterin im dritten Stock bis heute. Seit 88 Jahren. Mit 94 Jahren.
„Wer bietet mehr?“, fragt die WAZ in einer Serie. Vorgestellt werden Bochumer Rekordhalter der besonderen Art. Aktuell gesucht: die „dienstältesten“ Mieterinnen und Mieter der Stadt.
WAZ-Serie: Bestmarken aus Gerthe hielten nicht lange
Die schienen gefunden zu sein, als wir in der vorletzten Woche über zwei 87-jährige Gertherinnen berichteten. Traute Schulz lebt seit 1958 in ihrer Wohnung an der Lothringer Straße. Gertrud Chylewski ist seit 1960 an der Klüsenerstraße zu Hause.
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Die Bestmarken hielten nicht lange. Mehrere Leserinnen und Leser warteten mit neuen Höchstgeboten auf, darunter Ursula Püllenberg (seit 80 Jahren an der Laerstraße), Monika Zander-Gerhards (seit 71 Jahren an der Karl-Ernst-Straße), Marianna Schanko (seit 69 Jahren an der Hattinger Straße), Sigrid Lörke (seit 67 Jahren an der Yorckstraße) und Ute Buschmann (seit 66 Jahren am Steinring).
Mietvertrag datiert vom 1. Oktober 1933
Bislang unerreicht ist aber Marianne Becker. Vom 1. Oktober 1933 datiert der Mietvertrag, den ihre Eltern Ernst und Hilde mit der Ruhr-Lippe Siedlungsgesellschaft geschlossen haben. Mit drei, später vier Töchtern – Marianne war sechs – bezog die Familie damals die 85-Quadratmeter-Wohnung an der Alsenstraße, 3. OG. Erster Mietzins: 66 Mark.
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„Ich bin übrig geblieben“, sagt die heute 94-Jährige, die im St.-Elisabeth-Hospital geboren wurde. Ein Schreibtisch und ein Bücherschrank („alles massiv, das hält ewig“) in der guten Stube stammen noch von ihren Eltern. Lebhaft sind ihre Erinnerungen an die Kindheit. „Damals gab’s hier noch keine Straße, nur eine Schotterpiste. Aber viele der Häuser standen schon zu dieser Zeit.“
Nachbarn kümmern sich rührend um ihre Mitbewohnerin
Der „furchtbare Krieg“, der mühsame Wiederaufbau, die Wirtschaftswunderjahre: „Ich habe alles hier in dieser Wohnung erlebt und überlebt.“ Als Sachbearbeiterin bei der Bergbau-Berufsgenossenschaft, „Abteilung Staublunge“, fasste Marianne Becker beruflich Fuß. Als die Eltern starben, blieb sie in der Wohnung. „Es hat sich so ergeben“, sagt die topfit wirkende Seniorin, die Zeit ihres Lebens ehe- und kinderlos blieb. Umziehen? Warum? „Ich hab’ mich hier doch immer wohl gefühlt.“
Neue Runde: Bochums kinderreichste Familie gesucht
Wer bietet mehr? Diese Frage haben wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in den vergangenen Wochen schon öfter gestellt. In Bochum gefunden haben wir u.a. ein Buch, das über 500 Jahre alt ist, eine Konservendose aus den 1940er Jahren und eine Freundschaft, die seit 85 Jahren besteht.
Noch ist der Rekordmieter nicht gefunden. Die neue Runde jedoch wird bereits eröffnet. Dabei suchen wir die Bochumer Familie mit den meisten Kindern. Schreiben Sie uns! Kontakt: redaktion.bochum@waz.de oder per Brief an die WAZ-Redaktion, Huestraße 25 in 44787 Bochum; Stichwort: „Wer bietet mehr?“
Ihre Schwestern sind verstorben. Marianne Becker vermisst sie häufig. Ihre Familie, das sind längst die Mitmieter in dem Wohnhaus der LEG, die sich rührend um die liebenswerte alte Dame „oben im Dritten“ kümmern, Einkäufe erledigen, mit- und füreinander da sind. „Großartig“, lobt Marianne Becker ihre Nachbarn, die ihr noch lange Zeit zur Seite stehen wollen. Denn: „Ausziehen geht jetzt nicht mehr. Wohin denn auch?“
Neuer Rekord könnte schon bald aufgestellt werden
88 Jahre: Ist das als Mieterin oder Mieter noch zu toppen? Antwort: ja! Möglicherweise (es bedarf noch einiger Überzeugungsarbeit der Familie) können wir in den nächsten Tagen einen Bochumer präsentieren, der seit 1930 in seiner Wohnung lebt. Marianne Beckers Bestmarke in allen Ehren – aber die Suche nach Bochums Rekordmieter ist noch nicht vorbei.