Bochum. Der Protest gegen die NRW-Pflegekammer nimmt zu. Die Gewerkschaft Verdi berichtet von zahlreichen wütenden Pflegekräften. Es gab eine erste Demo.

Der Widerstand von Pflegekräften in Bochum gegen die Errichtung einer Pflegekammer in NRW wächst. „Immer mehr Kolleginnen und Kollegen sind aufgebracht und wollen sich wehren“, berichtet Agnes Westerheide von der Gewerkschaft Verdi. Scharfe Kritik wird vor allem an der Pflichtmitgliedschaft geübt. Aber auch Zustimmung zu dem neuen Gremium wird laut.

Für die mehr als 200.000 Pflegefachkräfte in Nordrhein-Westfalen soll eine eigene Standesvertretung gegründet werden. So will es die NRW-Landesregierung, um damit „die politische Mitsprache und Selbstverwaltung der Berufsgruppe zu stärken“. Die Mitgliedschaft soll für alle Examinierten (drei Jahre Ausbildung) verpflichtend sein. Die Kammer, so heißt es, soll u.a. Qualitätsrichtlinien entwickeln, für die Fort- und Weiterbildung zuständig sein und zum Sprachrohr aller Pflegerinnen und Pfleger werden.

Pflegekräfte schimpfen: „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“

„Die Proteste in Bochum und Umgebung haben in den vergangenen Wochen nochmals zugenommen“, schildert Agnes Westerheide. Denn nach den Beschäftigten in den Krankenhäusern seien es jetzt die Altenpflegerinnen und -pfleger, die die Bescheide des Errichtungsausschusses erhalten.

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„Ich will das nicht!“, „Das kann doch wohl nicht sein!“: Täglich gingen bei Verdi Anfragen erzürnter Pflegekräfte ein, sagt Agnes Westerheide. Eine rechtliche Handhabe gebe es nicht. Die Weitergabe der Daten durch den Arbeitgeber sei ebenso gesetzlich verankert wie die Registrierung.

Den Kolleginnen und Kollegen, 2020 noch als „Corona-Helden“ gefeiert, fehle hingegen vielfach der Glaube, dass eine Pflegekammer („Zwangskammer“) eine angemessene Berufsvertretung darstellen kann. Personalnotstand, mangelhafte Entlohnung, Stress auf den Stationen, frühzeitige Flucht aus dem Job: „Eine Pflegekammer wird die Missstände in der Pflege kaum beheben können. Sie darf zum Beispiel keine Lohnerhöhungen, Arbeitszeiten oder Urlaubstage verhandeln. Das dürfen nur wir!“, so Verdi.

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Auch die Pflegekräfte in den Altenheimen sollen sich jetzt für die NRW-Pflegekammer registrieren lassen. Die Gewerkschaft Verdi berichtet von zahlreichen Protesten.
Auch die Pflegekräfte in den Altenheimen sollen sich jetzt für die NRW-Pflegekammer registrieren lassen. Die Gewerkschaft Verdi berichtet von zahlreichen Protesten. © dpa | Sina Schuldt

Pflege-Wissenschaftler erkennt Notwendigkeit für Pflegekammer

Das sieht Jürgen Drebes, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Pflegewissenschaft an der Privatuniversität Witten/Herdecke, anders. „Viele andere Berufe, auch im Gesundheitswesen, haben eine Kammer mit Registrierung und verpflichtender Mitgliedschaft“, so Drebes. Kammergegner seien „in erster Linie die Institutionen, die in ihren Kompetenzen beschnitten werden, da eine Aufgabe der Kammer darin besteht, das jeweilige Aufgabenfeld zu definieren. Im Bereich Pflege warten wir seit über 120 Jahren darauf, dass das geschieht.“

Pflegekräfte demonstrieren in Herne

In Herne kam es am vergangenen Wochenende zu einer Demonstration gegen die Errichtung einer Pflegekammer NRW. Dazu aufgerufen hatte das „Pflegebündnis Ruhrgebiet“. Nach Angaben der Veranstalter gab es 550 Teilnehmer auch aus Bochum.

Regen Zulauf findet die Facebook-Gruppe „Nein zur Pflegekammer NRW“ mit mehr als 9000 Mitgliedern. Forderung auch hier: eine Urabstimmung aller Pflegekräfte.

Die Aufgabe einer Pflegekammer sei der Schutz der Patienten und die Sicherstellung einer angemessenen pflegerischen Versorgung der Gesellschaft, sagt Drebes. „Die Kammer gestaltet also eher den inneren Rahmen des Berufes. Dagegen sind die Gewerkschaften ausschließlich für den äußeren Rahmen zuständig“, betont der Pflege-Wissenschaftler und mutmaßt: Verdi habe offenbar Angst vor einem Mitgliederschwund.

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Verdi fordert Urabstimmung aller Pflege-Beschäftigten

Die Gewerkschaft bekräftigt: Die große Mehrheit der Pflegekräfte sei gegen eine Pflegekammer. Verdi kämpft für sie. Zwar sei inzwischen nicht mehr von zehn bis 15, sondern von fünf Euro Beitrag im Monat die Rede. Eine Pflichtmitgliedschaft für Ruheständler solle es nicht mehr geben.

„Aber die Beiträge werden nur anfangs durch die Anschubfinanzierung des Landes niedrig gehalten“, sagt Verdi-Sekretärin Westerheide und untermauert die (auch von der SPD unterstützte) Forderung nach einer Vollbefragung aller 200.000 Pflegekräfte. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein hatte die Urabstimmung dazu geführt, dass die Pflegekammern mit deutlicher Ablehnung wieder abgeschafft wurden.