Bochum. Jakob (24) kommt aus Bochum, ist Muslim und als Dragqueen auf Partys aufgetreten. Für seine strenggläubige Familie ist das eine Todsünde. Nun hat er sich umoperieren lassen.
Dieser Text erschien zuerst im September 2021. Jakob hat sich inzwischen einen Lebenstraum erfüllt: Er hat sich zur Frau operieren lassen, heißt heute Berfin Celebi. „Es war ein geplanter Weg“, sagte sie bei Stern TV.
Im pinken Mini-Kleid rückt sich Jakob (24) als Dragqueen auf den schwindlig-hohen High-Heels fürs Fotoshooting in Pose. Spielerisch klimpert er mit den falschen schwarzen Wimpern, die aufgespritzten Lippen zum Schmollmund verzogen. Brust raus, Po rein!
Zehn Jahre zuvor: In Sorge um den Ruf der streng muslimischen Familie wirft die Mutter ihrem damals schon Nagellack liebenden Sohn an den Kopf: „Wenn du schwul bist, dann bringe ich mich um!“ Jakob weiß da schon lange, dass er Männer liebt. Nun weiß er auch, dass er das seiner Familie niemals sagen kann.
Jakob ist Muslim, schwul und Dragqueen – seine Familie verstößt ihn
Er wächst mit seiner kurdischen Familie in Bochum auf. Seine Eltern stammen aus der Türkei, seine zwei Brüder und die drei Schwestern sind dort in einem kleinen Dorf geboren. Jakob kommt als jüngstes Kind in Deutschland auf die Welt, dort wo sein Vater eine Arbeit gefunden hat. Schon als Kind mag er Schminke, spielt gerne mit Puppen. Seiner Familie habe das noch nie gefallen, sagt Jakob.
Der Student für soziale Arbeit sitzt in der Küche seiner Zweizimmer-Wohnung in Altenbochum. An der Wand hängt ein Plakat mit einem Bild von Jakob. „Ich bin mal er, mal sie. Aber immer Muslim*in.“ Der 24-Jährige bezeichnet sich selber als gläubigen Menschen, er geht regelmäßig in die Moschee. Seine Familie halte Homosexualität für eine Sünde, er interpretiere den Koran anders. Lange kann er seine Gefühle vor seinen Eltern verstecken.
Erst wissen nur Freunde von der Homosexualität – dann outet ihn ein Nachbar
Bis er 18 Jahre alt ist, wissen noch nicht einmal die engsten Freundinnen von Jakob, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Erst vor schwulen Freunden traut er sich. Er lernt „Drag“ als Hobby kennen, gewinnt Selbstbewusstsein. In seiner Kunstrolle als „Kweengypsy“ spielt er bunt und laut die Karikatur einer Frau.
Es ist erst ein Nachbar, der Jakob über einen Zufall outet. Auf dem Christopher Street Day in Düsseldorf tritt Jakob als Dragqueen auf, der Nachbar erkennt den jungen Mann von nebenan, macht ein Foto. Dieses Bild – der Sohn aufgetakelt, geschminkt, im Kleid und auf hohen Schuhen – landet bei seiner Familie. Die Mutter weint, als sie ihren Sohn darauf anspricht. „Warum machst du das? Du bist eine Schande für die Familie.“
Muslimischen Freunden wurde nach dem Outing Gewalt angedroht
Jakob zieht aus. Der Kontakt zur Familie bleibt, seine Homosexualität wird Tabuthema. „Und damit hat es mich noch gut getroffen. Ich habe muslimische Freunde, denen nach ihrem Outing mit Gewalt gedroht worden ist.“ Der 24-Jährige möchte sich nicht mehr verstecken. Er hat Fernsehinterviews hinter sich, ist mit Youtubern als Dragqueen durch Innenstädte gezogen, um zu zeigen, wie schwer er es als Muslim hat. „Mit meiner Familie ist es seitdem schwieriger“, sagt er.
Das Verhältnis zu den Eltern ist kühl, ein Bruder habe den Kontakt abgebrochen. Und das Versteckspiel geht trotzdem weiter: „Ich erzähle auf Familienfeiern nicht, wenn ich am Wochenende einen Auftritt als Dragqueen hatte.“ Vieles bleibt ungesagt.
Jakob hat Pläne für die Zukunft. Er möchte nach Berlin gehen, dort hat er eine liberale Moschee gefunden, die seinen Glauben und seine Sexualität akzeptiere. „Vielleicht bin ich irgendwann ja auch hauptberuflich Dragqueen. Das wäre mein Traum.“