Bochum. Die Behandlung eines Milchzahns hat zur Klage einer Bochumer Zahnarztpraxis gegen eine Mutter geführt. Im Fokus: Negativbewertungen im Internet.

Jährlich mehr als 10.000 Patienten in Deutschland leiten Verfahren gegen Ärzte wegen des Verdachts auf Kunstfehler ein. Dass Mediziner ihre Patienten verklagen, ist hingegen selten. In Bochum ist das jetzt passiert. Eine Zahnarztpraxis bezichtigt eine Mutter einer „Rufmordkampagne“ und hat Strafanzeige erstattet. Die Patientin kontert: „Das war unterlassene Hilfeleistung.“ Auslöser des Streits: die Behandlung eines Milchzahns.

Mit ihrer Tochter hatte Lina Pohlmann im Juni eine Bochumer Zahnarztpraxis aufgesucht. Die Vierjährige habe heftige Zahnschmerzen gehabt, schildert die 26-Jährige. An dem Morgen sei schnelle Hilfe gefragt gewesen. „Die Praxis fand ich bei einer Online-Suche.“

Rechtsstreit um Milchzahn begann mit der Krankenversichertenkarte

Der erste Konflikt: Die Studentin hatte ihre Krankenversichertenkarte nicht dabei. „Ich rief bei meiner Krankenkasse an. Obwohl sie eine Übernahme der Kosten zusicherte, wurde die Behandlung abgelehnt. Dabei war das ein Notfall. Erst als ich 25 Euro in bar zahlte, erklärte man sich bereit, meine Tochter zu untersuchen“, schildert die Mutter.

Die Praxis bekräftigt auf WAZ-Anfrage, korrekt vorgegangen zu haben. Es sei die vertragsärztliche Pflicht, sich vor einer Behandlung eine gültige Gesundheitskarte aushändigen zu lassen. Sonst müssten die Kosten (hier: 23,66 Euro für eine Befundaufnahme) zunächst privat bezahlt werden. Wird die Karte innerhalb von zehn Tagen nachgereicht, werde der Betrag erstattet.

So war es auch hier, bestätigen beide Seiten. Lina Pohlmann erhielt ihr Geld wenig später zurück. Dass die Kostenzusage ihrer Kasse nicht ausgereicht habe, ärgert sie gleichwohl. Die Praxis betont: Das Mädchen sei wegen der Schmerzen in jedem Fall behandelt und therapiert worden.

Mutter hält Befund der Zahnarztpraxis für falsch

Zu der Therapie kam es nicht. Denn es folgte Konflikt Nummer 2. Nach einer Begutachtung des Milchzahns riet die Arztpraxis, den Zahn zu ziehen. Er war „tief kariös“ und entzündet, heißt es in einer ausführlichen Stellungnahme. Die „tiefgreifende Schädigung“ könne den Zahnkeim angreifen. Dadurch drohe eine Missbildung des nachfolgenden, bleibenden Zahns.

Lina Pohlmann schlug das Angebot, den Zahn am nächsten Tag zu entfernen, aus. Den Befund hält sie für falsch. Nicht einmal geröntgt worden sei ihre Tochter, bemängelt sie (was die Praxis mit der „völlig eindeutigen Situation“ begründet). „Zum Glück bin ich nicht darauf eingegangen“, sagt Lina Pohlmann. In Dortmund habe sie eine Praxis gefunden, die den Milchzahn mit einer Füllung versehen und gerettet habe.

Elf Negativbewertungen im Internet werfen Fragen auf

Konflikt Nummer 3 wird inzwischen über einen Anwalt ausgetragen. Im Fokus: Kommentare auf einem Google-Business-Portal im Internet. Bisher habe man stets die besten Benotungen mit fünf Sternen erhalten, erklärt die Arztpraxis. Das habe sich nach dem Disput schlagartig geändert. Die beauftragte Anwaltskanzlei listet elf Negativbewertungen unter verschiedenen Namen auf, die bis auf Lina Pohlmann nachweislich keine Patienten der Praxis seien. „Eine Zumutung“, „schnelles Geld machen“, „Massenabfertigung“, „Profit auf dem Rücken der Kinder“, lauten einige der Einträge.

Arzt-Klage: Das sagt der Fachanwalt

Wie bewertet Marius B. Gilsbach, Fachanwalt für Medizinrecht in Dortmund, den Rechtsstreit zwischen einer Bochumer Zahnarztpraxis und einer Patientin?

Bei einem akuten und unaufschiebbaren Notfall seien Vertragsärzte grundsätzlich zur Behandlung verpflichtet, sagt der Jurist. „Andernfalls handelt es sich um unterlassene Hilfeleistung.“ Ausnahmen: eine Überauslastung der Praxis oder ein zerstörtes Vertrauensverhältnis.

Wer eine negative Google-Bewertung abgibt, mache sich natürlich erst einmal nicht strafbar. „Ändern kann sich das aber, wenn ein Straftatbestand gegeben ist, etwa wenn es zu Beleidigungen, Verleumdungen oder übler Nachrede kommt“, so Gilsbach. Das gilt insbesondere dann, wenn in der Bewertung Aussagen getroffen werden, die nicht stimmen.

Es sei wahrscheinlich, dass die Mutter mit Decknamen arbeite, schreiben die Juristen und haben Strafanzeige wegen übler Nachrede, gegebenenfalls auch Verleumdung und Beleidigung, erstattet.

26-Jährige appelliert: Mehrere Meinungen einholen

Die Negativ-Kommentare sind inzwischen gelöscht. Lina Pohlmann beteuert gegenüber der WAZ, nur zwei Beiträge selbst geschrieben zu haben: „beide unter meinem Namen“. Eine Auswertung der IP-Adressen werde ihre Unschuld beweisen. An die Öffentlichkeit gehe sie, „um anderen Eltern auf den Weg zu geben, sich mehrere Meinungen einzuholen, bevor sie ihr Kind einer OP unterziehen“.

Das sieht die Arztpraxis anders. Die Mutter führe „ganz offensichtlich einen persönlichen Rachefeldzug“.