Bochum. Viele Jahre prägte das Urgestein das Kultur- und Geschäftsleben in Bochum. Doch zum Ende des Sommers ist Schluss: Sein Laden soll schließen.
Was waren das noch für Zeiten, als ein einziges Plakat in der Stadt für ordentlich Gesprächsstoff sorgte. „Liebling, ich möchte jetzt mit dir ...“ stand da drauf. Darüber war ein sich innig liebkosendes Paar, das es laut Werbeslogan aber nicht in die traute Zweisamkeit zog – sondern ausgerechnet ins Café Ferdinand kurz hinter dem Hauptbahnhof.
Bis heute gehört das Poster zum Bochumer Kulturgut, es war eine Weile heiß begehrt und schnell von den Litfaßsäulen geklaut. Entworfen hat es Gerd „Thom“ Pokatzky (74), dem mit diesem legendären Slogan der größte Coup seiner weit über 40-jährigen Berufslaufbahn gelang. Pokatzky ist Grafiker, Künstler, Gastronom, Auktionator und ein durchaus findiger Geschäftsmann. Er war OB-Kandidat, gründete den Bochumer Flohmarkt und schaffte es wie kaum ein Zweiter, über Jahrzehnte gut im Gespräch zu bleiben.
Bochumer Urgestein und Flohmarkt-Erfinder hört auf
Die Stadt und das Virus
Den Corona-Lockdown hat Thomm Pokatzky für ein bemerkenswertes Fotoprojekt genutzt: Jeden Tag schoss er ein Foto aus der menschenleeren Stadt und veröffentlichte es auf seiner Facebook-Seite.Die gesammelten Bilder sind jetzt als Buch erschienen: „Bochum 2020 - Die Stadt und das Virus“ (128 Seiten, 12 Euro) hat der Ruhrkrimi-Verlag veröffentlicht. Erhältlich ist es unter anderem in Pokatzkys Laden an der Castroper Straße 2.
Doch so langsam denkt Pokatzky ans Aufhören. Nach fast 30 Jahren an prominenter Stelle an der Huestraße ist er mit seinem „Sthark“ vor einem Jahr an die abgelegenere Castroper Straße 2 gezogen. Hier verkauft er zwar weiter tapfer Geschenkartikel, Mode und Accessoires aller Art, doch das Geschäft läuft mau. „Das Internet macht den kleinen Läden wie unserem die Preise kaputt“, meint er. „Corona tat dann sein Übriges dazu.“ Bis voraussichtlich Ende des Sommers möchte er sein Geschäft noch offen halten: „Danach ist endgültig Schluss.“
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Wer Thom Pokatzky hinterm Tresen erleben möchte, sollte sich also beeilen, denn das Bochumer Urgestein weiß eine Menge zu erzählen. In den bunten Siebzigern eröffnete er seinen ersten Laden im Ehrenfeld. Kurz darauf veranstaltete er einen Flohmarkt auf dem Vorplatz des Schauspielhauses, was damals völlig neu war. „Ich war schon immer ein großer Trödel-Fan und liebte es, auf den Märkten in London und Paris unterwegs zu sein. Die Atmosphäre dort ist einzigartig.“
Trödelmarkt vor dem Schauspielhaus
Diese Idee gefiel auch dem ehemaligen Intendanten Peter Zadek, der den Trödelmarkt vors Schauspielhaus holte. „Das war eine schöne Zeit“, erinnert sich Pokatzky. „Wenn die Theaterleute wie Rainer Werner Fassbinder morgens um fünf völlig verkatert aus dem Haus kamen, dann bummelten sie erstmal über unseren Flohmarkt. Die Besucher waren begeistert, plötzlich neben den großen Schauspielern zu stehen, die hier nach alten Kaffeemaschinen schauten.“
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Die Werbeplakate für den Flohmarkt, der später aus Platzgründen auf den Vorplatz des Rathauses umzog, wurden schließlich zu Pokatzkys Markenzeichen. Für jeden Termin entwarf er ein neues und klebte es nachts in der Stadt selber auf. „Auf einem stand nur in großen Buchstaben: ,Ich liebe dich’. Das haben die Leute vom Bauzaun gerissen.“ Bis heute gilt der Bochumer Flohmarkt als einer der ältesten im Revier, den Pokatzky auch weiterhin leiten möchte.
Kandidatur für das Amt des Oberbürgermeisters
Dagegen blieb seine Kandidatur zur Wahl des Oberbürgermeisters ein einmaliges Gastspiel. 1999 ließ sich Pokatzky aufstellen, obwohl er zuvor nie ein politisches Amt bekleidet hatte oder überhaupt einer Partei angehörte. Das naturgemäß von ihm selbst entworfene Wahlplakat zeigte den Kandidaten (beinahe) nackig. Daneben stand: „Würden Sie diesem Mann Ihre Stadt anvertrauen?“
Immerhin 4000 Wähler überzeugte er damit und brachte es bei der Wahl auf vier Prozent der Stimmen: „Das war mehr als die FDP damals hatte“, freut er sich noch heute. Dennoch sei die Kandidatur für ihn kein reiner Werbegag gewesen: „Ich wollte schon viel ändern in der Stadt und habe das auch überall erzählt, auch wenn der OB Ernst-Otto Stüber davon zunächst sehr irritiert war. Später haben wir uns besser verstanden.“
Verpasste Chance im Bermudadreieck
Obwohl er 1985 das Café Ferdinand mitbegründete, hat er sich aus der Gastronomie schon lange verabschiedet. Vielleicht sei das sein größter Fehler gewesen, überlegt er. „Dass ich nie im Bermudadreieck eingestiegen bin, bereue ich bis heute“, sagt er. „Eine gut geführte Gastronomie zu betreiben, ist im Grunde ein Selbstläufer. Außer wenn Corona kommt.“