Bochum. Das Pflegepersonal in Kliniken wird immer noch nicht nach Pflegeaufwand eingesetzt. Ein Blick ins Bochumer Bergmannsheil zeigt, woran es hapert.
Nach den Protesten des Pflegepersonals für eine am Bedarf der Patienten und Patientinnen orientierte Personalstärke, blickt die WAZ nun hinter die Kulissen des Krankenhausbetriebs. Im renommierten Bergmannsheil, vor dem es Anfang der Woche ebenfalls zu einer Aktion kam, arbeitet die Gesundheits- und Krankenpflegerin Julie Repons. Die engagierte 25-Jährige ist Vorsitzende der Jugend und Auszubildenden-Vertretung der Klinik: „Es ist für uns alle ein deprimierendes Gefühl, dass wir in der Pflege nicht das umsetzen können, was wir in der Ausbildung gelernt haben.“
Ein deprimierendes Gefühl
Kern des Konzepts der neuen Personalbemessung (PPR 2.0), das zwar seit Monaten zwischen Krankenhausgesellschaft, Deutschem Pflegerat und Verdi abgestimmt ist aber noch nicht flächendeckend umgesetzt wird, ist, dass das Pflegepersonal auf den Stationen viel stärker am tatsächlichen Pflegebedarf eingesetzt wird als bisher.
Julie Repons kennt die Situation in ihrer Klinik und erläutert an Hand einer fiktiven Chirurgischen Station, wie es aktuell abläuft. Die sogenannte „Untergrenzenverordnung“ gibt vor, dass auf einer solchen Station mit 25 Patienten oder Patientinnen mindestens drei examinierte Pflegekräfte in der Frühschicht und jeweils zwei in der Mittags- und Nachtschicht anwesend sein müssen. „Damit wird aber nur ein Mindestmaß an Pflege möglich“, so Repons bitter.
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Nicht alle Fachbereiche gleich behandelt
Diese Verordnung gilt aber noch nicht für alle Bereiche. Nach Repons Schilderung werde jeden Tag neu in einer Frühbesprechung geschaut, wie stark die einzelnen Stationen besetzt seien. Fehle jemand etwa krankheitsbedingt, werde intern verschoben und zwar von einer Station wo die Untergrenzen-Verordnung noch nicht greife auf eine andere, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. „Dabei haben wir im Bergmannsheil schon jetzt 50 Vollzeitkräfte zu wenig. Aufgefüllt wird dies dann oft durch Leiharbeitskräfte“, sagt die Krankenpflegerin.
Weg hin zu einer bedarfsgerechten Versorgung
Selbst wenn die neue Form der Personalbemessung (PPR 2.0.), so Praktiker, flächendeckend umgesetzt wird, ermögliche sie gerade einmal die Mindestversorgung.
Es bleibe so gut wie keine Zeit, um über notwendige Arbeiten hinaus, wie etwa das Stellen der Medikamente oder Waschen der Patienten, sich zu kümmern. Hinzu komme, dass es immer schwerer werde, um überhaupt genügend Personal einzustellen.
Wenn die neue Personalbemessung in allen Bereichen angewendet werde, sei eine solche Verschiebung nicht mehr so leicht möglich. „Ich verstehe nicht, warum nicht mehr Pflegepersonal eingestellt wird, wo doch jede Stelle refinanziert ist“, fragt sich Julie Repons. Von einer ganzheitlichen Pflege jedenfalls, wie sie gerade in Corona-Zeiten mehr denn je nötig wäre, die auch die psychischen Belange der Patienten berücksichtige, könne jedenfalls so keine Rede sein.
Fallpauschalen-System hatte Defizite
Marcus Fritz ist Pflegedirektor am Bergmannsheil und kennt die aktuelle Situation nur zu gut. Ob die komplette Umsetzung der neuen Struktur tatsächlich zu einem stärken Personalbedarf führe, sei noch nicht abzusehen. Er räumt aber ein, dass das alte System der Abrechnung nach Fallpauschalen den tatsächlichen Pflegebedarf nur unzureichend abgebildet habe.
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Sorge vor bürokratischem Mehraufwand
Fritz gibt auch eine Erklärung, warum das neue Prinzip noch nicht flächendeckend umgesetzt wird: „Es gibt einige Probleme, angefangen vom erheblichen bürokratischen Mehraufwand bis zur Tatsache, dass unterschiedliche Qualifikationsniveaus von Beschäftigten (sogenannter Qualifikationsmix) nicht zureichend abgebildet werden können. Ein wissenschaftlich fundiertes und dabei praktikables Instrument zur Personalbemessung ist aber unbedingt notwendig. Wir wünschen uns, dass die Entscheidungsträger in diesem Sinne aktiv werden und zu Lösungen kommen, die die Situation der Pflege nachhaltig verbessern und zugleich dem Fachkräftemangel entgegenwirken.“
Höherer Krankenstand durch enorme Belastung
Einig sind sind sich die junge Krankenpflegerin und der Pflegedirektor in der Einschätzung der enormen Belastung der Pflegekräfte, deren Krankenstand bundesweit deutlich über dem Durchschnitt aller Berufsgruppen liege. Was, wie Julie Repons betont, „aber nicht daran liegt, dass Personal etwa an Corona erkrankt oder sich in Quarantäne befindet.“
Das bestätigt Marcus Fitz: „Auch im Bergmannsheil gibt es aktuell einen höheren Krankenstand. Das Pflegepersonal ist gerade durch die Corona-Pandemie extrem belastet und noch mehr beansprucht als zuvor. Dabei hat die Pandemie vielen Menschen erst gezeigt, dass Pflege nicht nur systemrelevant, sondern auch eine tragende Säule unserer Gesellschaft und Wirtschaft ist.“