Bochum. Seit 8 Uhr sind Anmeldungen für die Corona-Impfungen möglich. Doch viele über 80-Jährige scheitern. Die WAZ hat eine Bochumer Seniorin begleitet.
"Werden wir Alten allein gelassen?" Margot Haferkamp ist wütend. Tage-, ach was: wochenlang hat sie darauf gewartet, Termine für die beiden Corona-Schutzimpfungen zu bekommen. Am Montag sollte es soweit sein. Doch die 95-Jährige muss trotz Unterstützung weiter warten: Weder telefonisch noch online gab es bisher ein Durchkommen. Damit ist die Stiepelerin nicht allein.
Um 8 Uhr hatte die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) die Telefon-Hotline 0800/116 117 02 sowie die Internetseite www.116117.de für Anmeldungen für das Impfzentrum Bochum freigeschaltet. Für mehr als 20.000 Bochumerinnen und Bochumer über 80 Jahre ein lang ersehnter Tag. Auch für Margot Haferkamp. Sie leidet unter massiven Vorerkrankungen, u.a. der Lungenkrankheit COPD. "Die Zahl der Toten ist beängstigend. Eine Corona-Ansteckung würde ich kaum überleben. Die Impfung könnte mein Leben retten. Nebenwirkungen? So ein Quatsch! Ich wäre als Erste dabei!", sagt Margot Haferkamp.
Corona in Bochum: Auch der OB konnte nicht helfen
Immer wieder hatte sie schon in den vergangenen Wochen die KVWL-Servicenummer gewählt: "Man kann's ja mal probieren. Aber für NRW war nichts zu machen." Am letzten Mittwoch hatte sie sogar Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) bei dessen Bürgersprechstunde im Rathaus angerufen. "Der zeigte zwar großes Verständnis, konnte aber auch nichts für mich tun."
Umso erwartungsvoller griff Margot Haferkamp am Montag zum Telefon. Wieder. Und wieder. Und wieder. Resultat: ein Rauschen am anderen Ende; oder die Ansage: "Wegen der hohen Nachfrage sind die Leitungen zur Zeit überlastet." WAZ-Redakteur Jürgen Stahl, der der hochbetagten Leserin während seiner Reportage mit seinem Laptop bei einer Online-Anmeldung zur Seite stehen wollte, hatte gleichfalls kein Glück. "Zur Zeit sind alle Termine ausgebucht. Wir arbeiten daran, Ihnen bald neue Termine anbieten zu können", ploppte nach etlichen vergeblichen Versuchen auf der Webseite auf.
Fehlermeldung auf der Webseite
In der Tat: Die KVWL lag mit ihrer Warnung vor einer Überlastung allzu richtig. Landesweit scheiterten Senioren und deren Angehörige und Vertraute an dem Anmeldeverfahren. Besonders verärgert zeigen sich Bochumer, die online nach Stunden endlich durchgekommen waren und per Mail oder SMS zwei Codes für die Erst- und Zweitimpfung (ca. drei Wochen später) ergattert hatten. "Werden die Zahlen eingegeben, erscheint eine Fehlermeldung - und alles geht von vorne los", schildert ein entnervter Sohn.
Zahlreiche weitere Leser berichten über -zig vergebliche Anläufe, verwirrende Online-Formulare, zwei erforderliche Mail-Adresse für ein Ehepaar - und resignierter Aufgabe. Ulrich Deutsch flüchtet sich in Zynismus, wenn er schreibt: "Wir können ja noch weiterhin Menschen erkranken und sterben lassen. Sind ja genug davon da."
Kassenärzte bitten um Geduld
Besserung? Zunächst nicht in Sicht. Denn die Impftermine sind knapp. Die Lieferengpässe des Herstellers Biontech/Pfizer führen nicht nur dazu, dass das Impfzentrum im Ruhrcongress mit einer Woche Verspätung, am 8. Februar, an den Start geht. Auch die Zahl der Impflinge wird in den ersten zwei Wochen überschaubar sein. KVWL-Bezirksleiter Dr. Eckhard Kampe geht anfangs von täglich maximal 120 Impfungen aus. Erst ab der dritten Woche sei eine Verdoppelung in Sicht.
Die Kassenärzte bitten um Entschuldigung - und Geduld. Trotz "gewaltiger Call-Center-Kapazitäten" sei es zum Anmeldestart zu den befürchteten "Engpässen" gekommen. "Alle, die die Möglichkeit haben, einen Termin zu einem späteren Zeitpunkt zu buchen, sollten davon Gebrauch machen", heißt es in einer Mitteilung. Und: „Niemand muss sich Sorgen machen. Es ist ausreichend Zeit und Vorlauf für die Terminvergabe."
Margot Haferkamp will sich keine Zeit lassen. Denn die hat sie mit 95 nicht. "Ich versuch's weiter", sagt sie, setzt ein Lächeln und einen neuen Kaffee auf. Dienstag ab 8 Uhr sitzt sie wieder am Telefon.