Bochum. Das Schauspielhaus Bochum ist geschlossen, trotzdem wird gespielt. Im Internet konnte man eine eindringliche “Ödipus“-Lesung verfolgen.

Das Schauspielhaus bleibt geschlossen, aber Theater gespielt wird dennoch, wenn auch nur virtuell. Am Donnerstag, 14. Januar, übertrug die Bochumer Bühne die neue Produktion „Ödipus, Herrscher“ als Live-Stream im Internet. Ein ganz anderes, aber auch ein ganz intensives Theatererlebnis.

Johan Simons zeigt den antiken Stoff in moderner Form

Johan Simons hat den antiken „König Ödipus“ von Sophokles in einer sprachlich entschlackten Neufassung umarrangiert. Die Aufführung sollte in diesem Monat Premiere feiern, was Corona aber nicht zulässt. So entschied sich der Intendant, sein Stück – noch bevor endgültig zu Ende geprobt – als Lesung im leeren Schauspielhaus vorzustellen. Damit der geneigte Zuschauer nicht komplett ausblutet, was das Theatererleben betrifft.

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Das Orakel vermittelt das von den Göttern bestimmte Schicksal

„Ödipus“ verhandelt ein schweres Thema: Laios, Vater des Ödipus’, ward vom Orakel vorhergesagt, dass sein Sohn ihn erschlagen und seine Mutter heiraten werde. Daraufhin gibt er Ödipus nach dessen Geburt zum Sterben fort, der wird aber gerettet, wächst bei Zieheltern auf, hört später, dass dies nicht seine wirklichen Eltern seien, macht sich auf, das Orakel zu befragen, versteht aber die Weissagung nicht, erschlägt auf dem Rückweg seinen Vater Laios als Unbekannten, zieht in Theben ein, wird Herrscher und heiratet Iokaste, also seine Mutter.

Ödipus sticht sich aus Scham die Augen aus

Damit setzt die eigentliche Dramenhandlung ein, in der Ödipus in sechs Stufen seine Vergangenheit aufdeckt. Er, der König, leitet selbst die Untersuchung des Falles ein. Nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht: Ödipus ist Laios’ und Iokastes Sohn, der schreckliche göttliche Orakelspruch wurde trotz aller menschlichen Verhinderungsversuche verwirklicht.

Diesem Wissen ausgeliefert, sticht sich Ödipus die Augen aus, aus Scham und Angst vor der Schande, die der Vatermord und die Inzucht mit der Mutter hervorrufen würde. Im Gegensatz zu Iokaste, die – anders als im Original - in Simons Deutung selbstbewusst die Frage stellt, ob göttliche Ge- oder Verbote überhaupt irgendeinen Sinn haben.

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Ausgang des Stücks wird gegenüber dem Original verändert

Was wäre, wenn sie "wüsste" und sich freuen würde, ihren geliebten und vermissten Sohn als Mann wieder in die Arme schließen zu können, diesmal nicht als Mutter, sondern als Frau? Das öffentlich zu behaupten, war 429 v. Chr., als Stück entstand, wahrscheinlich genauso unmöglich, wie es das heute wäre. Aber der niederländische Theatermacher bietet diese Deutung an, über die man diskutieren kann und soll.

Für Diskussionen dürfte gesorgt sein

Kontroverser Stoff also, insofern zeitaktuell, als Theben zu jener Zeit, in der die Geschichte spielt, von einer heimtückischen Suche heimgesucht wird; allein die Aufklärung der Zusammenhänge der Tragödie verspricht Erlösung von der Plage. Aber natürlich ist Johan Simons weit entfernt von einer platten Bezugnahme auf Covid-19.

Eher sieht er „Ödipus, Herrscher“ als Gedankenspiel in der existenzialistischen Tradition. Iokaste wertet nicht, was geschehen ist, sondern nimmt das moralische Unmögliche als für sich gültig an. Ödipus glaubt und verzweifelt an den Göttern, und irrt dafür fortan blind durch die Welt. „Viele laufen in ihr Schicksal/gerade weil sie es fürchten“, heißt es am Schluss.

Steven Scharf ist überragend in der Titelrolle

In der sehr dichten, an den Nerven rüttelnden Aufführung entspinnt sich das Drama in 90 Minuten auf die denkbar stillste Art. Ödipus, überragend gespielt von Steven Scharf, ist ein penibler Ankläger, ein Advocatus Diaboli in blauem Anzug und mit Hornbrille, der zum Buchhalter des Verderbens wird. Ausgezeichnet agieren Elsie de Brauw als lebenssatte Iokaste, Pierre Bokma als blinder Seher Theiresias und Stefan Hunstein als unnachgiebiger Kreon.

Die enge Kameraführung, die die Gesichter der Darsteller immer wieder in Großaufnahme heranzoomt, betont im Live-Stream das Kammerspielhafte der Inszenierung noch. Man darf gespannt sein, wie diese Konzentration erfordernde Aufführung dereinst auf der großen Bühne ‘rüberkommt.

>>> Info: Weitere Live-Streams

Das Schauspielhaus setzt die Live-Streamings fort, als nächstes steht am Sonntag, 24. Januar, „Erinnere Dich, Penthesilea“ mit Sandra Hüller und Jens Harzer auf dem Programm.

Die Streams kosten 15/erm. 10 Euro, eine Reservierung ist auf der Homepage www.schauspielhausbochum.de notwendig. Nach Zahlung wird ein Freischalt-Link per Email zugeschickt.

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