Bochum. Nahed Al Essa kam 2016 als Flüchtling nach Bochum. An ihrem Traum, Schriftstellerin zu werden, hielt sie fest. Jetzt erscheint ihr erste Hörbuch.

2016 kam Nahed Al Essa als Flüchtling aus Syrien nach Bochum, zwei kleine Kinder, null Deutschkenntnisse. Seitdem hat sich allerhand getan im Leben der alleinerziehenden Mutter. Nahed, die hauptberuflich als Sprachvermittlerin und Dolmetscherin aktiv ist, arbeitet zielstrebig daran, ihren Traum wahr werden zu lassen und Schriftstellerin zu werden. Einen weiteren Schritt in diese Richtung hat die 37-Jährige mit der Veröffentlichung ihres ersten Hörbuches getan.

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Ein Leben in zwei Welten

Al Essa war schon während sie noch in Syrien lebte literarisch tätig. Ein Roman von ihr in arabischer Sprache war erschienen; der Bürgerkrieg und die Flucht machten den Ambitionen dann brutal ein Ende. Seit sie in Deutschland lebt, hat die Syrierin ihre Leidenschaft nicht nur aufleben lassen, sondern sie behutsam, aber beharrlich weiterentwickelt. Inzwischen führt sie ein Leben in zwei Welten und in zwei Sprachen. „Ich blicke aus zwei Fenstern auf die Welt“, sagt Nahed, „eines geht nach Deutschland, das andere nach Syrien.“

Nahed Al Essa lebt mit ihren Kindern Naya und Kays in Bochum.
Nahed Al Essa lebt mit ihren Kindern Naya und Kays in Bochum. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Je mehr sie in Bochum heimisch wird, umso stärker fallen ihr die Unterschiede auf, die zwischen Syrien und Deutschland bestehen. Wetter und Temperament der Menschen, Ansichten, Vorschriften und Verhaltensweisen – es gibt vieles, was hier anders ist als dort und umgekehrt.

Eine genaue Beobachterin

Nahed, die Schriftstellerin, beobachtet alles und schreibt darüber, ohne das Gesehene zu bewerten. Sie maßt sich keine Urteile an, aber sie stellt mit dem scharfen Blick der exakten Beobachterin fest, was den Orient vom Okzident unterscheidet, und was sie davon auf ihrem eigenen Lebensweg mitnehmen kann.

Da dieser Lebensweg mehr und mehr sich mit Menschen aus dem deutschen Kulturkreis füllt, entsteht eine spannende Wechselwirkung. Nahed Al Essas Beobachtungen treffen auf Leser/innen, denen sich plötzlich ein neuer Blick eröffnet. Nicht auf den „fernen Orient“ als ein exotisches Phantasmagorien, sondern auf ihr eigenes Leben, hier, daheim in Deutschland. „Ich bin wie ein Spiegel, der das Licht aufnimmt, und es auf meine Umwelt zurückwirft“, so poesievoll drückt Nahed es aus.

Die Autorin und ihr Hörbuch

„Über die Schulter blicken“ ist Nahed Al Essas erstes deutschsprachiges Hörbuch, an dem sie zwei Jahre gearbeitet habe. Nun freut sich die Schriftstellerin, ihre Stimme trotz der Maskenpflicht frei zu lassen um ihre Hörerinnen und Hörer zu erreichen.

„Über die Schulter blicken“ kann man als CD unter der Mailadresse bestellung.alessa@gmail.com ordern (9,99 Euro + Versand). Auf der Website www.Nahed-AlEssa.com gibt’s eine Hörprobe.

Ihr Hörbuch trägt den Titel „Über die Schulter blicken“, und was man auf den ersten Blick nicht denken würde: Schon dieser spezifische Titel erzählt von Nahed Al Essas Neuanfang in Westeuropa. Als „ein Schulterblick auf der Autobahn meines Lebens, der eine Stunde dauert“, charakterisiert sie ihr Hörbuch und dessen Laufzeit. Und muss über diese Formulierung schmunzeln. „Weder für Autobahn noch für Schulterblick gibt es im Arabischen Entsprechungen“, sagt die Autorin. Mit beiden Wörtern sei sie erst in Bochum konfrontiert worden. Nun sind sie Teil ihres Lebens, und fließen damit in ihr Schreiben ein, so wie „Duft des Jasmins“ oder „Frau aus Feuer und Seide“ als Chiffren für ihre syrische Seele stehen.

„Als ich ein Schmetterling war...“

„Als ich ein Schmetterling war, hatte ich ein echtes Zuhause, das Dorf gehörte mir, ein Leben ohne Stress, mehr mit Genuss: dies alles war, als der Himmel noch frei war. Ich möchte wieder dieses ,Ich’ sein, diese Person, die ich war. Das Ich kam nach Deutschland, es war wie eine kalte Dusche. Das kalte Wasser wollte nicht aufhören zu fließen, so, als wäre der Hahn kaputt. Langsam nun wird das Wasser wärmer. 4000 km liegen zwischen mir und der Person, die eine Schmetterling gewesen war“, heißt es an einer Stelle ihres Hörbuchs, das sie selbst eingesprochen hat und das, höchst stimmungsvoll, mit arabischer Musik unterlegt ist.

Text werden mit arabischer Musik unterlegt

Man hört ihr muttersprachliches Idiom durch, aber man staunt auch, wie selbstbewusst Nahed sich der fremden Sprach bedient, wie sie ihren Willen zur Poesie aus dem Arabischen ins Deutsche umlenkt, durch Ausprobieren, durch Zulassen, durch Neugierde - so wie Kinder Rinnsale ausheben, durch die dann das Regenwasser zu kleinen, schimmernden Seen zusammenfließt.

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Noch denke sie von rechts nach links, so wie die arabische Schrift verläuft, sagt Nahed Al Essa. Weiter will sie lernen, „auf Deutsch“ und „von links nach rechts“ zu denken, um noch präziser im Ausdruck zu werden, um noch unmittelbarer schreiben zu können. Man darf sich auf die zukünftigen Texte dieser vielversprechenden Literatin freuen. Gewiss werden auch sie von der Liebe handeln.

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