Bochum. Ihre Siedlung neu entdecken: Das konnten gebürtige Hordeler bei einer Führung durch die ehemaligen Zechenkolonien. Ein Blick in die Vergangenheit.

Noch bevor Bartholomäus Fujak die Teilnehmer seiner Führung mit einem „Glück auf“ begrüßen kann, haben diese bereits angefangen, sich über Schachtanlagen und Schichten unter Tage auszutauschen. „Hoffentlich erzählt er uns auch alles richtig“, sagt Peter scherzhaft in die Richtung des Historikers. Er ist selbst in der Siedlung rund um die Zeche Hannover aufgewachsen. Sein Vater und sein Onkel haben als Bergleute gearbeitet und Peter erinnert sich noch gut an das aufregende Leben in der Zechenkolonie.

Diese Pläne zeigen, wie die Häuser in der Zechensiedlung in Bochum-Hordel aufgebaut sind.
Diese Pläne zeigen, wie die Häuser in der Zechensiedlung in Bochum-Hordel aufgebaut sind. © FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

Zum „Tag des offenen Denkmals“ hat die Zeche Hannover in Bochum eine kostenlose Führung durch die Zechensiedlung in Bochum angeboten. Der Rundgang „Wohnen auf der Seilscheibe“ führt zunächst zu den ehemaligen drei Arbeiterhäusern am Rübenkamp. Die unter Denkmalschutz stehenden Häuser lassen erahnen, wie es hier vor 130 Jahren ausgesehen haben muss. Ab 1890 wohnten hier Bergleute mit ihren Familien und Kostgängern, also ledigen Arbeitern, die bei den Familien unterkamen. Zwei Häuser wurden wegen Kriegsschäden neu aufgebaut, das dritte blieb nahezu unversehrt. Zuletzt diente die kleine Zechensiedlung hier als Kulisse für den Bochumer Film „Sommerfest“.

Bis zu 40 Personen lebten in kleinen Häusern

Hinter den Häusern befinden sich Beete mit Kohl und Stallgebäude für die Nutztierhaltung, damit sich die Bergleute selbst versorgen konnten. Zu Spitzenzeiten lebten in den kleinen Häusern bis zu 40 Personen, erzählt Fujak. Er gewährt den Teilnehmern der Führung einen Einblick in eine Zeit, in der Familien mit mehreren Generationen in einem Zimmer lebten, oder Witwen ihre Kostgänger heirateten, damit die Familie den kleinen Wohnraum behalten konnte, wenn der Vater unter Tage verunglückt war.

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Diese Zeiten kennt Peter nur noch aus Erzählungen. Als er ein Kind war, lebt hier bereits nur noch eine Familie pro Haus. An das Gemeindehaus in der nächsten Straße kann er sich noch gut erinnern, hier habe er Konfirmationsunterricht gehabt und Theater gespielt. Fujak ergänzt, dass das Gemeindehause wichtig für das Zusammenleben in der Kolonie war und hier die ersten Vereine entstanden. Wenn die Bergleute ihre Freizeit nicht gerade hier verbrachten, dann waren sie auf dem Hordeler Fußballplatz.

„Wenn einer Hilfe brauchte, dann waren sofort alle da“, erinnert sich Peter.

Führung: „Wohnen auf der Seilscheibe“

Der Landschaftsverband Westfalen Lippe veranstaltet die Führung „Wohnen auf der Seilscheibe“ jeden zweiten Samstag im Monat. Der Rundgang kann zusätzlich auch für einzelne Gruppen gebucht werden. Die Teilnehmer treffen sich an der Zeche Hannover und zahlen 2,50 Euro.

Die Führung dauert ungefähr zwei Stunden und führt von der Siedlung am Rübenkamp bis zu den „Montagehäusern System Schneider“. Es wird um eine Anmeldung unter Tel. 0234/ 282 53 90 gebeten.

„Das war wie eine Kleinstadt und die Kameradschaft zwischen den Bergleuten war von großer Bedeutung. Die Bergleute zogen unter Tage an einem Strang und in ihrer Freizeit auch. Deswegen hat die Integration von Einwanderern hier gut funktioniert“, erklärt Fujak. Die älteren Teilnehmer nicken zustimmend. „Wenn einer Hilfe brauchte, dann waren sofort alle da“, erinnert sich Peter. „Kann man sich in der Form heute gar nicht mehr vorstellen“, meint Jürgen.

Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, wenn ich durch die Siedlung gehe“, sagt Peter, einer der Teilnehmer der Führung, der 1970 aus Hordel in einen anderen Bochumer Stadtteil gezogen ist.
Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, wenn ich durch die Siedlung gehe“, sagt Peter, einer der Teilnehmer der Führung, der 1970 aus Hordel in einen anderen Bochumer Stadtteil gezogen ist. © FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

Über Jahrzehnte entstanden rund um die Zeche neue Kolonien. Fujak führt die Gruppe durch die Dahlhauser Heide, die von den Bewohnern Kappskolonie genannt wird, da die Arbeiter früher „Kapps“, also Kohl, in den Gärten hinter ihren Häusern anbauten. In der kleinen Stadt gab es auch einen eigenen Supermarkt, den „Konsum“ und mehrere Kneipen. „Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, wenn ich durch die Siedlung gehe“, sagt Peter. „Früher gab es hier alles, heute würde ich hier nicht mehr wohnen wollen.“ Er ist in den 1970er-Jahren mit seiner Frau in einen anderen Stadtteil gezogen.

Ganz besonders sind Führungen mit Zeitzeugen

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Es komme öfter vor, dass ehemalige Bewohner der Siedlung seine Führungen besuchen, berichtet Fujak. „Manche sind auf der Suche nach den Spuren der eigenen Vergangenheit.“ Führungen mit Zeitzeugen seien für ihn etwas ganz Besonderes, da er dabei selbst noch viel dazu lerne. Er ist selbst als Zeitzeuge zum Industriemuseum an der Zeche Hannover gekommen, für eine Ausstellung mit dem Themenschwerpunkt Migration. Mittlerweile bietet der begeisterte Historiker die Führung durch die Zechenkolonien seit acht Jahren an. Am schönsten sei es, sagt er, wenn selbst Experten wie Peter am Ende noch etwas Neues gelernt haben.