Bochum. Hinter ihnen liegen Krieg, Angst und Armut: In einer Wohngruppe in Bochum werden minderjährige Flüchtlinge betreut. Träume prallen auf Realität.

Die Angst hat sich in Hamzas braune Augen gebrannt. Die Angst vor dem Ertrinken, 2015, auf dem Mittelmeer. Für 25 Personen war das Boot ausgelegt. Mehr als 80 syrische Flüchtlinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene, drängten sich in der Nussschale. Zum Glück ging alles gut. Hamza, damals 13, schaffte es in die Türkei, weiter nach Griechenland, nach zwei Wochen Fußmarsch nach Deutschland. „Hier bin ich sicher“, sagt der heute 18-Jährige, der in der „Globus“-Wohngruppe in Bochum lebt. „Hier ist Frieden. Wo ich herkomme, ist Krieg.“

Als „Schutz- und Schonraum“ versteht die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Vinzenz ihre Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Vor neun Jahren war das Domizil in den Christ-König-Räumen am Steinring eingerichtet worden. 14 Einzelzimmer, eine Großküche und ein gemütlicher Gemeinschaftsraum stehen für Flüchtlinge zwischen 14 und 18 Jahren (ausschließlich Jungen) bereit.

Flüchtlinge in Bochum: In Syrien gibt es keine Zukunft

„Nie waren die Plätze wichtiger als heute“, schrieb die WAZ 2015 in einem Bericht über „Globus“. Es war die Hoch-Zeit der Flüchtlingswelle, des „Wir schaffen das“. Immer mehr Armuts- und Kriegsflüchtlinge, kaum der Kindheit entwachsen, ließen ihre Familien zurück, um sich allein auf den Weg ins vermeintlich reiche Europa zu machen.

So wie Hamza. Aus Damaskus kommt er, sagt er im WAZ-Gespräch, wortkarg, skeptisch. „Stolz“ sei er auf seine Heimat, sagt Hamza. Und doch habe es in Syrien für ihn „keine Zukunft“ gegeben. Mutter und Vater sind noch dort (weshalb Hamza weder seinen richtigen Namen nennen noch fotografiert werden möchte). Sein Cousin sei in diesem verfluchten, nicht enden wollenden Krieg gestorben.

Das Team hilft auch bei Handyverträgen

Yosef Al Tatari kennt das Grauen. Auch er stammt aus Syrien. Auch er machte sich 2016 allein auf den Weg. Auch er schaukelte in einem Flüchtlingsboot übers Mittelmeer, in höchster Lebensgefahr. Da war er 16. Zweieinhalb Jahre kam er bei „Globus“ unter. Inzwischen lebt er in einer eigenen Wohnung in Hamme.

„Genau das ist unser Konzept“, sagt Julia Filipiak (48), Leiterin der Wohngruppe mit 7,5 Planstellen für Erzieher, Sozialarbeiter und -pädagogen. Der Steinring ist für die jungen Geflüchteten die erste Station nach einem mitunter jahrelangen Irrmarsch, „ein Lebensort auf Zeit“ mit einer anfangs fremden Kultur und völlig neuen Lebensbedingungen. Das „Globus“-Team hilft mit seinem engmaschigen Netzwerk beim Sprachunterricht, der medizinischen und therapeutischen Versorgung, beim Asylverfahren und vielerlei Herausforderungen des deutschen Alltags, etwa bei Handyverträgen oder Bankgeschäften.

Bernhard Heller (Mitte) zählt als Erzieher zum Team der „Globus“-Wohngruppe.
Bernhard Heller (Mitte) zählt als Erzieher zum Team der „Globus“-Wohngruppe. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Probleme auf dem Arbeitsmarkt

„Wir sind 24/7 für die Jungs da“, sagt Julia Filipiak und gibt die Mission vor: Integration. „Die Jungs müssen so fit sein, dass sie draußen klarkommen.“ Dann können sie in Trainingswohnungen mit ambulanter Betreuung wechseln, später dann in eigene Bleiben, so wie Yosef Al Tatari, der die Klasse 9 der Hauptschule abgeschlossen hat und eine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau anstrebt.

Jährlich werden 50 Jugendliche betreut

Der massive Rückgang der Flüchtlingszahlen spiegelt sich auch in der „Globus“-Wohngruppe wider: Aktuell ist die Hälfte der 14 Plätze besetzt.

Durchschnittlich werden am Steinring jährlich 50 Jugendliche betreut. Die meisten stammen aus Syrien, Guinea, Somalia, Afghanistan und dem Irak.

Die Unterbringung erfolgt durch das städtische Jugendamt. Die Kommune übernimmt auch die Finanzierung. Der Tagessatz liegt bei 159 Euro.

Hohen Respekt habe sie vor „den Jungs“, die oft traumatische Erfahrungen verarbeiten müssten, betont Julia Filipiak und würde sich wünschen, dass mehr von ihnen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Fuß fassen. „Aber da gibt’s große Probleme.“ Zwar würden viele Betriebe gern Geflüchtete einstellen. Manche Ausbildung scheitere aber an der Berufsschule.

Hamza aus Damaskus bleibt optimistisch. Er träumt von einer Lehre als Dachdecker. „Bald“, sagt er, „will ich ein Praktikum machen.“ Und plötzlich strahlen seine Augen.