Bochum. Nach dem tödlichen Unfall auf einem Bochumer Brachgelände nahe dem Westpark warnt ein Kenner der Lost Places: Das Hobby sei „schweinegefährlich“.
Nach dem tödlichen Unfall auf dem Brachgelände nahe dem Westpark in Bochum warnt ein sich selbst als Kenner der „Urban-Explorer-Szene“ bezeichnender Bochumer vor einer steigenden Zahl an Unfällen. Sebastian S. – seinen vollen Nachnamen möchte er nicht in der Zeitung lesen – erkundet selbst regelmäßig so genannte „Lost Places“. Der 41-jährige Journalist zeigt wenig Verständnis für die Unbedarftheit, mit der viele Menschen seinem Eindruck nach Industriebrachen in der Umgebung entdecken wollen. „Das ist ein schweinegefährliches Hobby. Nichts für Familien.“
Frau stirbt bei „Lost Place“ in Bochum – so haben wir berichtet:
- Lost Place in Bochum: Frau stirbt nach Rettungsaktion: Eine Frau bricht auf einem Brachgelände in Bochum leblos zusammen und stirbt später. An sogenannten „Lost Places“ gibt es immer wieder Vorfälle.
- Bochum: Immer wieder passieren Unglücke auf Industriebrachen: Immer wieder passieren Unglücke auf Industriebrachen in Bochum. So stürzte 2012 ein 16-jähriger im Industriewald vom Dach einer Ruine.
- „Lost Places“: Fünf streng geheime Orte in Bochum: Verlassene Orte finden sich zahlreich in Bochum. Solche „Lost Places“ sind für manche eine Abenteuerspielplatz. Dabei sind sie gefährlich.
In der Nacht zu Sonntag war eine 22-jährige Frau aus Bergheim (Rhein-Erft-Kreis) augenscheinlich während einer Erkundungstour auf dem Areal nahe der Jahrhunderthalle zusammengebrochen. Ihre zwei Begleiter alarmierten den Rettungsdienst, der im unwegsamen Gelände zwischen alten Bahnschwellen und dichtem Bewuchs Schwierigkeiten hatte. Die Polizei geht davon aus, dass das Trio das Areal als Lost Place erkunden wollte. Die junge Frau starb im Krankenhaus.
„Lost Places“ in Bochum: Westpark ist beliebt – und voller Gefahren
Szene-Kenner Sebastian S. weiß um die Beliebtheit des Westparks, kennt dort viele Einstiege in den Untergrund - und ist sich der Gefahren bewusst. „Gefährlich ist das, was du nicht siehst: Schimmel, fehlender Sauerstoff.“ Seine wichtigste Regel sei, dass er nirgendwo alleine reingehe. „Du brauchst einen Telefonjoker draußen. Jemand, der weiß wo du bist und wann du zurück sein solltest. Jemand, der im Notfall deine Rettung organisiert.“
Der 41-Jährige kennt die Videos von den Erkundungen aus den sozialen Netzwerken. „Die laufen da mit Schlappen oder gar barfuß herum. Das kann doch nicht funktionieren.“ Er verweist auf seine Ausrüstung: Taschenlampen, Sicherheitsschuhe, Seile, Atemmasken, Gasmessgerät. Angst habe er nicht.
Vor fünf oder sechs Jahren sei die Szene noch überschaubar gewesen. Das habe sich geändert. In den sozialen Netzwerken laufe ein Wettbewerb um die spektakulärsten Lost Places. „Das was passiert ist, wird nicht der letzte Unfall gewesen sein.“
Szene-Kenner verweist auf „gesunden Menschenverstand“
Mit diesem Wettbewerb könne der Bochumer nichts anfangen, erzählt er. „Ich gehe einer Story nach, versuche das Ganze journalistisch aufzuarbeiten. Das ist meine Motivation. Mich interessiert die Geschichte des Ortes. Es geht es nicht um Neugierde. Ich renne nicht in Privatanwesen. Ich bin an der Historie interessiert, möchte die Geschichte begreifen.“ Die meiste Zeit investiere er in die Recherche. Ein Artikel in der Zeitung, eine Reportage im Fernsehen, der Tipp eines Freundes: Die Inspiration komme aus vielen Ecken.
Er halte sich vor Ort an Regeln: „Man darf nicht einbrechen, nichts kaputtmachen, nichts mitnehmen.“ Der Bochumer kenne „Urbexer“, die Einbruchswerkzeug im Auto hätten. Sebastian S. erzählt, dass er in der Regel die Eigentümer interessanter verlassener Orte nach einer Erlaubnis frage. „Das ist die einfachste Lösung.“ Dass er sich aber auch schon ohne Erlaubnis in verlassenen Gebäuden umgeschaut hat, gibt der 41-jährige gelernte Elektrotechniker freimütig zu. „Viele Sachen sind offen. Man sollte dann halt anonym bleiben. Das Risiko müssen wir immer selber abschätzen. Es gilt der gesunde Menschenverstand.“
In der Jahrhunderthalle gibt es offizielle Führungen
Sebastian S. erzählt von einer verlassenen Kirche, deren noch hängende Glocken er so gerne im Foto habe festhalten wollen. Ein morsches Dach und Taubenexkremente hatten ihn damals davon abgehalten. „Platz- und Höhenangst darf man nicht haben. Man sollte seine eigenen Grenzen kennen – und die niemals überschreiten.“
Ärger hat der Journalist nach eigenen Angaben für seine Touren noch nie bekommen. Dabei ist jeder Gang in die Unterwelt ohne die Erlaubnis des Eigentümers illegal. „Ein Antragsdelikt“, sagt Sebastian S. schulterzuckend. „Das gibt nur Ärger, wenn der Eigentümer das anzeigt.“ Der 41-Jährige wird wohl weitermachen mit seinen Erkundungstouren in die Unterwelt. Daran hat der tödliche Unfall nichts geändert. Für Familien und Unerfahrene empfiehlt er dagegen eine Führung durch die Unterwelt der Jahrhunderthalle (externer Link). Ganz offiziell – und ohne Gefahren.