Bochum. Im Ruhrgebiet geht die Zahl der Gynäkologen, die Abbrüche vornehmen, seit Jahren zurück. Angst vor Strafverfolgung oder ein Generationswechsel?
„Versorgungssituation Schwangerschaftsabbruch“ steht auf der Folie. Dorothee Kleinschmidt von der Beratungsstelle Pro Familia führt an diesem Tag dem Bochumer Frauenbeirat eine Problematik vor Augen, die vielen Anwesenden neu ist: Immer weniger Gynäkologen nehmen im Ruhrgebiet Schwangerschaftsabbrüche vor – in Bochum ist es bloß noch einer.
„2018 fanden 807 Schwangerschafts-Konfliktberatungen in Bochum statt“, erklärt die Ärztin und Familientherapeutin. Ein großer Teil der beratenen Frauen würde daraufhin auch eine Abtreibung vornehmen lassen. „Doch die Dichte der Ärzte, die Abbrüche vornehmen, nimmt ab“, betont Kleinschmidt, und das nicht nur in Bayern und Baden-Württemberg.
Viele Abtreibungsärzte im Rentenalter – auch in Bochum
Nach einer Erhebung von Pro Familia führten 2009 noch 21 Gynäkologinnen in Bochum, Castrop-Rauxel, Dortmund, Herne, Recklinghausen, Witten, Hagen, Essen und Marl Schwangerschaftsabbrüche durch. 2020 seien es nur noch 13 Gynäkologen. Unter diesen stünden allerdings acht Ärzte kurz vor der Verrentung, sagt Dorothee Kleinschmidt, so auch der letzte Bochumer Gynäkologe, der Abbrüche vornimmt.
Immer weniger Abtreibungsärzte
807 Schwangerschafts-Konfliktberatungen fanden 2018 in Bochum statt.
Laut Pro Familia nahmen 2009 noch 21 Gynäkologen im Ruhrgebiet Abbrüche vor, 2020 sind es nur noch 13 Praxen.
Bundesweit soll die Zahl dieser Praxen seit 2003 um 40 Prozent gesunken sein, so das Statistische Bundesamt.
Auf acht Geburten kommt ein Schwangerschaftsabbruch, bundesweit sind das rund 100.000 Abtreibungen pro Jahr.
„Es sind vorwiegend ältere Ärztinnen, die aus einer Überzeugung oder politischen Motivation heraus, sich dazu entschlossen haben“, erklärt die Kinderwunschberaterin. Ein Großteil der Gynäkologinnen gehöre einer Generation an, die früher selbst gegen den Paragraphen 218 StGB auf die Straße gegangen sei. „Nur ab und zu kommt mal eine junge Kollegin dazu“, sagt Kleinschmidt. Weitere „Hemmschuhe“ für Gynäkologen könnten außerdem ein fehlender Schwerpunkt im Medizinstudium, eine eingefrorene Kostenübernahme bei operativen Abbrüchen und die Sorge vor einer Rufbereitschaft sein.
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„Es gibt immer Praxen, die die Versorgung ausreichend sicherstellen“, erklärt Rolf Englisch, Landesvorsitzender für Westfalen-Lippe im Berufsverband der Frauenärzte, „In NRW gibt es keine Engpässe und Wartezeiten bei Schwangerschaftsabbrüchen.“ Über genaue Zahlen zu Gynäkologen, die die Abbrüche durchführen, verfüge der Verein nicht.
Pro Familia Bochum: „Es ist für Ärzte gesellschaftlich schwierig, dazu zu stehen“
Für Dorothee Kleinschmidt sei ein verändertes politisch-gesellschaftliches Klima ein weiterer Grund für den Rückgang der Gynäkologen, die Abbrüche vornehmen. „Es ist für Ärzte gesellschaftlich schwierig, dazu zu stehen, dass sie Abbrüche durchführen“, so Kleinschmidt. Dazu könnten auch die Erfolge rechts-konservativer Parteien wie der AFD beitragen. Doch auch die Angst vor einer Strafverfolgung könnte bei manchen Frauenärzten einer Rolle spielen.
Die Sorge vor einem Verstoß gegen das sogenannte Werbeverbot hält auch manche der 13 verbleibenden Gynäkologen im Ruhrgebiet davon ab, sich in der Berichterstattung zum Thema Schwangerschaftsabbrüche zu äußern. Auf mehrfache WAZ-Anfrage hin berichten Frauenärzte anonym von Verleumdungen auf konservative Webseiten und Anzeigen, sobald sie auf der eigenen Homepage auf Abbrüche hinweisen.
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