Bochum. Wie infektiös ist das Leben in den Bochumer Sammelunterkünften? Kritiker befürchten, die Stadt hat die Geflüchteten in der Coronakrise vergessen.
In Altenheimen, Krankenhäusern und Sammelunterkünften lebt es sich in der Coronazeit am gefährlichsten. In den vier Bochumer Flüchtlingsheimen soll es noch zu keinem Coronafall gekommen sein, sagt die Stadt. Zahlreiche Vereine und Initiativen beruhigt das nicht. Sie werfen der Stadt vor, Geflüchtete in der Krise vergessen zu haben.
Bereits Ende Mai hatten sich Kritiker der Sammelunterkünfte mit einem offenen Brief an die Stadt gewandt. Sie fordern eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten in Bochum sowie einen transparenten Plan, wie die Stadt Geflüchtete vor einer Corona-Infektion schützen will. Zu den Unterzeichnern gehört auch Carla Scheytt, die sich bei der Seebrücke, bei Treffpunkt Asyl sowie im Begegnungscafe lysA engagiert. „Es müssen alle Kapazitäten genutzt werden, um die Wohnsituation der Menschen räumlich zu entzerren“, sagt Scheytt, „Wer einer Risikogruppe angehört, sollte in Hotels untergebracht werden.“
Stadt Bochum: Flüchtlingsheime sind zu 60 Prozent ausgelastet
Aktuell sollen 585 Geflüchtete in den Unterkünften an der Wohlfahrtstraße, auf der Emil-Weitz-Straße, am Nordbad sowie auf der Hontröper Straße in Wattenscheid leben. Die Stadt erklärt, die vier Bochumer Flüchtlingsheime seien zu rund 60 Prozent ausgelastet: „Eine räumlich entlastende Koordination ist somit innerhalb der Einrichtungen möglich.“ Im Falle einer Infektion könnten nicht bewohnte Gebäude für eine mögliche Quarantäne oder Isolation genutzt werden.
„Infektiologisch ist es in solchen Unterkünften kaum möglich, sich an die entsprechenden Distanzregeln zu halten“, erklärt Christian Cleusters, Geschäftsführer der Medizinischen Flüchtlingshilfe, „angefangen von gemeinsam genutzten Bädern und Küchen bis hin zur engen Unterbringung auf den Zimmern.“ In der Krise sei insbesondere für Menschen mit posttraumatischen Belastungen oder alleinreisende Frauen mit Kindern das Fehlen von Privatsphäre eine zusätzliche Belastung. Die Geflüchteten seien außerdem nicht ausreichend informiert „Im Kontakt mit den Klienten trat zu Tage: Denen ist nicht bewusst, was die Krise für sie bedeutet“.
Sammelunterkünfte für Geflüchtete
Laut der Stadt leben 585 Geflüchtete in Sammelunterkünften an vier Standorten in Bochum.
In der Unterkunft an der Wohlfahrtstraße sollen 127 Personen, auf der Emil-Weitz-Straße 157 Personen, am Nordbad 177 Personen und auf der Hontröper Straße 124 Personen leben.
Noch soll keine Corona-Infektion in diesen Unterkünften bekannt sein.
In der Krise sollen die Einrichtungen derzeit nur zu 60 Prozent belegt sein.
Besuch der Bochumer Unterkünfte sei derzeit nicht möglich
Mit zwei Sozialbetreuern für 160 Personen sei im Bereich der psychosozialen Hilfe der Betreuungsschlüssel zu niedrig, „gerade wenn jemand wegen des deutlich erhöhten Stresslevels mal Gesprächsbedarf hat“, so Cleusters. Bei dezentraler Unterbringung könnte auch eine psychosoziale Betreuung sichergestellt werden, „aber bei einer höheren Stabilität, höheren Entspannungsgrad, einer ausreichenden Distanz, weniger Angst und Unruhe“. „Die Stadt hat argumentiert, das soziale Gefüge einer solchen Gemeinschaftsunterkunft könne zur Stabilität beitragen. Diese Wirkung ist verhältnismäßig begrenzt“, erklärt Cleusters. Dass man sich im Flüchtlingsheim noch austauschen kann, sei während der Corona-Pandemie „mit Sicherheit kein gesundheitlicher Vorteil“.
In den Unterkünften seien auch Menschen, die aufgrund ihres Status schon in eine Wohnung ziehen dürften, aber keine finden, sagt Carla Scheytt von Treffpunkt Asyl. Sie fordert von der Stadt ein proaktives Vorgehen, Wohnungen sollten angemietet, Mietverträge beispielsweise mit den städtischen Wohnungsgesellschaften schon vorbereitet werden. Dieses sogenannte Übergangsmanagement, das Geflüchteten beim Übergang ins eigenständige Wohnen helfen soll, sei in den letzten Jahren stark zurückgebaut werden. „Da sind auch viele Kompetenzen engagierter Sozialarbeiter verloren gegangen“, sagt Scheytt.
Auf eine WAZ-Anfrage hin teilt die Stadtverwaltung mit, es sei aktuell aus Infektionsschutzgründen nicht möglich, die Sammelunterkünfte zu besichtigen beziehungsweise im Innenbereich zu fotografieren. Auch Ehrenamtliche wie Carla Scheytt oder Michael Doering von der Initiative „Bochum hilft“ haben derzeit Schwierigkeiten, Einblick in die Flüchtlingsheime zu erhalten.
Träger würden bei den Umsetzung der Vorgaben der Stadt Bochum alleingelassen
Doering konnte in den letzten Wochen nur gesammelte Materialspenden vor der Tür der AWO-Unterkunft in Wattenscheid abstellen. Durch die Vernetzungen der Vereine und Flüchtlingshilfen sowie den Kontakt zu den Trägern wisse er aber von den Herausforderungen für Bewohner und Personal. Die Träger würden bei der Umsetzung der städtischen Vorgaben allein gelassen, erklärt er. Beispielsweise würde die Unterkunftsleitung in Wattenscheid tolle Arbeit leisten, aber zusätzliches Personal, welches die Einhaltungen der Hygiene- und Abstandsregeln kontrolliert oder psychische Hilfe anbietet, schicke die Stadt nicht. Die städtischen Vorgaben seien zudem nicht auf die Gegebenheiten vor Ort abgestimmt.
„Auf Rückmeldungen der Träger wird seitens der Verwaltung zeitnah reagiert“, teilt die Stadtverwaltung mit. Eine klare Antwort, wie die Belegung der Unterkünfte entzerrt wird, wie viele Geflüchtete maximal zusammenleben oder eine Toilette nutzen, gibt die Stadt nicht. Für coronabedingte zusätzliche Tätigkeiten sei kein zusätzliches Personal erforderlich. Eine Erhöhung der Reinigungsintervalle oder eine regelmäßige Desinfektion von Kontaktflächen sei nicht notwendig.
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