Bochum. 2510 Grundschüler in Bochum gehen nächste Woche wieder regulär zu Schule. Ein Vater kritisiert, die Politik nutze Kinder als „Versuchskaninchen“.
Von nächsten Montag (15.) an gehen die 2510 Grundschüler in Bochum wieder jeden Tag zur Schule. Das NRW-Schulministerium hatte am Freitag überraschend mitgeteilt, der reguläre Unterrichtsbetrieb werde wieder aufgenommen. Eine Entscheidung, die gemischte Reaktionen hervorruft.
Von einem “breiten Spektrum zwischen Zuspruch und Ablehnung“ ist bei der Landeselternschaft Grundschulen NRW mit Sitz in Bochum die Rede. „Die Reaktionen sind zum Teil emotional“, so Geschäftsführerin Birgit Völxen. Ihr Verein hatte sich auf Wunsch der Eltern für eine weitere Öffnung der Schulen stark gemacht – nicht jedoch für die nun überraschende Variante des Schulministeriums. Viele Eltern würden sich nun fragen, wie sie ihren Kindern erklären sollen, dass sie bislang Abstand halten sollen – und dies auch weiterhin außerhalb der Schule gelte, nicht aber mehr in der Klasse. Bedenken gebe es auch, ausgerechnet in der Urlaubszeit von Quarantäne bedroht zu sein.
Stadt schweigt zu Vorgabe aus Düsseldorf
Vielsagend ist die Reaktion der Stadt Bochum zur Entscheidung aus Düsseldorf. „Wir möchten offiziell dazu keine Stellungnahme abgeben“, heißt es unisono von Stadtdirektor Sebastian Kopietz, dem Leiter des städtischen Corona-Krisenstabs, und Schuldezernent Dietmar Dieckmann. Das lässt auf eine tiefe Verstimmung im Bochumer Rathaus schließen.
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Ähnlich dürfte es in den Schulen sein. „Wir müssen massiv umplanen. Und das, nachdem sich das System gerade erst eingespielt hatte“, sagt Björn Wiezorek, Leiter der Neulingschule in Weitmar und Vertreter der 42 Grundschulen im Lenkungskreis des Regionalen Bildungsbüros. Gerade einmal vier Tage bleiben in dieser Woche, um die neuen Stundenpläne aufzustellen, den Hygieneplan anzupassen, Eltern zu informieren und den Bedarf für die Ganztagsbetreuung abzufragen. „Das ist eine große Herausforderung.“ Die Stimmung im Kreis der Grundschulrektoren ist einhellig: „Es kocht schon ziemlich hoch“, so Wiezoreck – wegen des Gesundheitsrisikos, der kurzfristigen Umsetzung und der Tatsache, noch zwei Wochen vor Ferienbeginn alles wieder umzukrempeln.
Ganztagsbetreuung ist „das größte Problem“
Zumal: Nicht alle Lehrer dürfen unterrichten, an der Neulingschule gehören zwei von 13 der Risikogruppe an. „Die konnten uns bislang beim Homeschool-Unterricht unterstützen, aber das fällt jetzt weg“, so der Schulleiter. „Aber unser größtes Problem ist, dass auch der OGS-Betrieb wieder voll anlaufen soll.“ Eines sei jetzt schon klar. Der Regelbetrieb an der Grundschule werde anders aussehen als vor der Corona-Zeit.
Nach der begrenzten Öffnung der Grundschulen galt bislang: Es werden kleine Lerngruppen gebildet, um die Abstandsregeln in der Klasse einzuhalten. Nun soll jede komplette Klasse wieder gleichzeitig unterrichtet werden, gemischt werden dürfen die Klassen nicht. Im Infektionsfall soll so gewährleistet sein, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler und alle Lehrerinnen und Lehrer in Quarantäne müssen.
Klassen kommen zeitversetzt in die Schule
Praktisch umgesetzt heißt das für die Neulingschule: Die beiden Klassen jeder Jahrgangsstufe kommen zeitversetzt im Abstand von 15 Minuten zur Schule, haben zeitversetzt Pause und beenden den Unterricht auch zeitversetzt. Beide Klassen jedes Jahrgangs betreten das Schulgebäude über unterschiedliche Eingänge und verbringen die Pause an unterschiedlichen Stellen. So oder so ähnlich werde es an allen Grundschulen laufen, so Björn Wiezoreck.
Entlastung der Eltern
„Wenn es um die Bildung unserer Kinder geht, zählt jeder Tag“, begründet NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) die Rückkehr zum Regelunterricht an den Grundschule. Nach fast zehn Wochen ohne oder mit deutlich eingeschränktem Unterrichtsbetrieb sei es „von besonderer Bedeutung, gerade den Kindern der Primarstufe vor den anstehenden Sommerferien nochmals einen durchgehenden und geordneten Schulalltag zu ermöglichen“.
Auf diese Weise könnten sich Lehrerinnen und Lehrer einen besseren Überblick über den Lernstand der Kinder verschaffen. Außerdem würden so Eltern entlasten, „die in den vergangenen Wochen mit enormen Herausforderungen konfrontiert waren und diese meistern mussten“, wie es in einer Mitteilung des Ministeriums heißt.
us Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist der von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) eingeschlagene Weg falsch. „Wieso wird zwei Wochen vor den Ferien noch einmal alles geändert?“, fragt Hella Eberhardt, Geschäftsführerin der GEW Bochum. „Die GEW lehnt diese Regelung ab, weil die Gesundheit von Schülern und Lehrern nicht gewährleistet ist.“ Zu Beginn der Corona-Krise hätten die Lehrer viel Verständnis dafür gehabt, dass nicht alles reibungslos laufe. „Aber was Frau Gebauer da jetzt macht, ist schlecht“, so die GEW-Geschäftsführerin.
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Vater spricht von „rücksichtslosem Aktionsismus“
Das ist auch die Position von Peter Doussin, Vater zweier schulpflichtiger Kinder. „Ich finde es unverantwortlich von unseren Politikern, unsere Kinder als Versuchskaninchen zu nutzen. Denn nichts anderes soll in den kommenden Tagen geschehen“, sagt der Bochumer. Die Rückkehr zum uneingeschränkten Schulbetrieb bezeichnet er als „rücksichtslosen Aktionismus“. Er frage sich, welchen Sinn die Fortführung von Präventionsmaßnahmen wie Kontakteinschränkungen, Abstandsregelungen und Hygienevorschriften hätten, wenn alle Kinder wieder gleichzeitig in die Schule gehen sollen. „Das entzieht sich jeder Logik und ist unseren Kindern nicht zu vermitteln.“
Auch den Lehrern ist es nicht zu vermitteln. Von „Fassungslosigkeit“ unter Kolleginnen und Kollegen spricht Daniela Lanz, die an einer Bochumer Grundschule unterrichtet, zum GEW-Leitungsteam gehört und als Personalrätin für Grundschulen agiert. Es sei nicht zu verstehen, dass zwei Wochen vor Ferienbeginn so ein Risiko eingegangen werde, dem Lehrer, Schüler, Eltern und Angehörige ausgesetzt seien.
Krankenstand könnte steigen
Denn: „Auch wenn wir auf dem Schulhof Zonen einrichten und Klassen voneinander treffen. Die Kinder treffen auf dem Schulweg trotzdem zusammen.“ Wegen der Inkubationszeit von 14 Tagen könne es sein, dass sich jemand angesteckt habe, in Urlaube fahre und dann eben nicht mehr nachzuvollziehen, mit wie vielen Menschen er in Kontakte gekommen sei. Sie könne sich daher gut vorstellen, dass nicht alle Eltern ihre Kinder zur Schule schicken und mglw. auch der Krankenstand unter den Lehrern steige. Und: „Wenn man das schon so macht, dann sollten alle Lehrerinnen und Lehrer zumindest regelmäßig getestet werden.“
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