Bochum. Wer in Gaststätten bedient werden will, muss seine Kontaktdaten angeben. Das verstößt gegen Grundrechte, glaubt ein Bochumer Anwalt – und klagt.

Der Streit um die in Gaststätten, Friseursalons und Schwimmbädern ausgelegten Kontaktlisten erhitzt die Gemüter von Gästen, Betreibern und Datenschutzrechtlern. Ein Bochumer Anwalt will gegen die Gästelisten nun gerichtlich vorgehen: Sie verstießen nicht nur gegen Grundrechte, sondern würden zudem von den Gesundheitsämtern gar nicht genutzt.

Wer im Café Extrablatt in Bochum eine Bestellung aufgeben will, muss zuerst seinen Vor- und Nachnamen sowie seine Handynummer auf einen Zettel schreiben, den die Bedienung dann einsammelt. Dreimal hat Mitarbeiterin Dilan schon Gäste weggeschickt, weil sie nicht ihre persönlichen Daten angeben wollten. „Für uns ist das lästig, eine Fleißarbeit, aber es ist ein gutes Mittel um nachzuvollziehen, welche Mitarbeiter und Gäste gleichzeitig da sind“, erklärt Hasan Simsek, der das Extrablatt Bochum leitet.

Anwalt bemängelt: Gästelisten sind unfreiwillig, nicht anonym und ohne Datensicherheit

Doch eben dieses Mittel werde von den Gesundheitsämter gar nicht zur Verfolgung von Infektionsketten genutzt und verstoße zudem gegen Datenschutz-Grundsätze, erklärt der Bochumer Anwalt Christof Wieschemann. Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster wehrt er sich gegen die NRW-Coronaschutzverordnung, in deren Anhang verschiedenen Betrieben die Erfassung von Personaldaten auferlegt wird.

Im Café Extrablatt Bochum teilt die Bedienung vor der ersten Bestellung einem jedem Gast ein DinA5-Kontaktzettel aus. Wenn ein Gast diesen nicht ausfüllt, wird er wieder weggeschickt.
Im Café Extrablatt Bochum teilt die Bedienung vor der ersten Bestellung einem jedem Gast ein DinA5-Kontaktzettel aus. Wenn ein Gast diesen nicht ausfüllt, wird er wieder weggeschickt. © Extrablatt Bochum | Hasan Simsek

Wieschemann sieht in den ausgelegten Listen das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung sowie die verfassungsrechtlich entwickelten Standards zur Vorratsdatenspeicherung verletzt. „Bei der Entwicklung einer Corona-App sind sich alle politisch und rechtlich einig: Das muss anonym und, freiwillig sein und eine hohe Datensicherheit mit dezentraler Speicherung gewährleisten“, so Wieschemann, „doch jetzt bei den Kontaktlisten machen wir das zwangsweise, nicht anonym und völlig ungeregelt also ohne jede Datensicherheit – das passt alles überhaupt nicht zusammen!“

Bochumer Anwalt: „Es müsste Bußgelder hageln“

Gäste müssten zudem darüber belehrt werden, was mit ihren Daten passiert. „Wenn Datenschutzbeauftragte der Länder in die Gastronomie gehen und sich diese Belehrungen anschauen, dann müsste es Bußgelder hageln, weil die alle unvollständig sind“, sagt Wieschemann. Auf seinen Antrag hätte das Land erwidert, das Betreten einer Gaststätte sei freiwillig. „Das Argument der Freiwilligkeit halte ich für absurd“, so der Anwalt, „Dann stehe ich vor der Kneipe und frage mich: ,Auf welches meiner Grundrechte verzichte ich denn jetzt? Gehe ich rein und verzichte auf mein Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder bleibe ich draußen und verzichte auf mein Persönlichkeitsrecht?’“

Umfragen in verschiedenen Bundesländern würden zudem ergeben, dass die in Gaststätten ausgelegten Listen von Ermittlern des Gesundheitsamts nicht verwendet würden, aufgrund der begrenzten Kapazitäten, so der Bochumer Anwalt. Auch Bochumer Corona-Ermittler verfolgen in erster Linie persönliche Kontakte von Infizierten.

Das NRW-Gesundheitsministerium erklärt auf Anfrage, die Gesundheitsämter könnten „nach eigenem Ermessen“ agieren und je nach Lokal-Größe entscheiden, ob die Listen abgefragt werden sollen. Ob diese Möglichkeit in NRW-Gesundheitsämtern bereits genutzt wurde, wisse das Ministerium nicht. Von personellen Engpässen sei bei den Gesundheitsämtern allerdings nicht auszugehen, so das Landesministerium.

Tag für Tag heften die Bochumer Gastronomen hunderte Zettel mit Namen, Adressen und Telefonnummern in Ordner ab. Nach vier Wochen sollen diese wieder vernichtet werden.
Tag für Tag heften die Bochumer Gastronomen hunderte Zettel mit Namen, Adressen und Telefonnummern in Ordner ab. Nach vier Wochen sollen diese wieder vernichtet werden. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Stadt sieht bei Datenschutz-Vorkehrungen Gastronomie in der Pflicht

In Bochum wurden die ausgelegten Gästelisten zur Infektionsketten-Verfolgung noch nicht verwendet, erklärt die Stadt. Bei der sorgfältigen Listenführung, Verwahrung und fristgerechten Vernichtung der Kontaktlisten sieht die Stadt die jeweiligen Geschäftsinhaber in der Pflicht. Lediglich bei „gegebenem Anlass“ würde das Ordnungsamt die Listen in Augenschein nehmen. Ein falscher Umgang mit den angegebenen Gästedaten wurde noch bei keinem Gastronom beanstandet.

Anwalt Christof Wieschemann ist auch besorgt über den Zugriff von Polizeibehörden auf die Daten der Gesundheitsämter in anderen Bundesländern. Ob auch in NRW die Polizei auf ausgelegte Gästelisten zugreift, kann das NRW-Gesundheitsministerium auf Anfrage nicht beantworten. „Zuständig sind vornehmlich die Gesundheits- und Ordnungsämter vor Ort“, heißt es in der Antwort des Landes.

Bochumer Polizei habe bisher nicht auf Kontaktlisten zugegriffen

In Bochumer Gastronomiebetrieben werden die Gästelisten nur dem Gesundheitsamt ausgehändigt, so die Stadt. Die Bochumer Polizei gibt an, bisher nicht darauf zugegriffen zu haben, „die Polizei würde hier lediglich Amtshilfe bei der Durchsetzung bestimmter Maßnahmen leisten“.

Bei den von Corona-Infizierten angegebenen Kontaktpersonen liegt der Fall aber anders: „Sollten sich im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen Verdachtsmomente ergeben, könnte ein Informationsaustausch mit Bezug auf die Listen stattfinden“, teilt die Polizei Bochum mit. Bislang sei dies nicht notwendig gewesen.

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