Bochum. Bochums OB hat in der Corona-Krise ermutigende Briefe an Senioren geschickt, finanziert aus Steuergeldern. Zwei Kommentare aus unserer Redaktion.
Mit einem Brief an Bochumer Senioren hat Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) die Politik in Aufruhr versetzt. Knapp 60.000 Bochumer über 70 Jahre hatten im Zuge der Corona-Krise aufmunternde Post von ihrem Stadtoberhaupt bekommen. Die Opposition vermutet hinter der Aktion den einsetzenden Wahlkampf, Eiskirch nennt eine „gewisse Sorglosigkeit in Teilen der Bevölkerung“ als Motivation. Aber sind diese Briefe wirklich nur Wahlkampf aus Steuergeldern?
Ein Pro-Kommentar von Karoline Poll: „Ein billiger Versuch Corona zu nutzen“
Die wärmenden Worte in den Senioren-Briefen von Oberbürgermeister Thomas Eiskirch sind ein allzu billiger Versuch, die Corona-Krise zu Wahlkampfzwecken zu nutzen. Rund 60.000 Euro hat das Stadtoberhaupt für die Schreiben an alle Bochumer über 70 Jahre aus der Stadtkasse genommen. Und die Opposition tobt – zurecht.
„Passen Sie gut auf sich auf! Passen Sie auf Bochum auf! Bleiben Sie gesund!“ – es sind schöne, berührende Worte, mit denen die Schreiben an die besonders vom Coronavirus betroffene Altersgruppe enden. Aber was bringen warme Worte der alten Dame, die ihre Enkelkinder vermisst und seit Wochen nicht mehr einkaufen geht? Immerhin: Sie wird sich vielleicht in der Wahlkabine an die nette Geste erinnern. Aber wären die Steuergelder fürs Porto der Briefe nicht besser in sinnvollere Projekte investiert gewesen?
Und wo übrigens sind die aufmunternden Briefe für Eltern, die ihre Schulkinder zuhause betreuen? Für den Selbstständigen, der vor der Scherben seiner Existenz steht? Für die Studentin, die sich durchs Online-Semester kämpft und seit Wochen alleine in ihrer Studentenbude hockt?
Mit dem Streit um die Brief-Aktion ist nun Bochums Wahlkampf im vollen Gange. Auch die anderen Parteien schlachten die „Eiskirch-Briefe“ nun für ihre Zwecke aus. Und die vom Coronavirus geplagten Senioren bleiben wieder allein.
Ein Contra-Kommentar von Verena Lörsch: „Opposition sollte zu Deals stehen“
Es kann einem Oberbürgermeister im Wahljahr nicht untersagt werden, sich an die Bochumer Bürger zu wenden. Der Zeitpunkt für die Brief-Aktion mag unglücklich sein – doch Thomas Eiskirch kann nicht zu Last gelegt werden, dass ausgerechnet im Wahljahr der Ausnahmefall Corona eintritt.
Warum Menschen ab 70 Jahren adressiert werden, liegt auf der Hand: Diese Altersgruppe muss bei einer Corona-Infektion durchschnittlich mit einem deutlich schlimmeren, möglicherweise sogar tödlichen Covid-19-Verlauf rechnen. Die Intention Eiskirchs, in Zeiten vieler Lockerungen diese Altersgruppe vor einer „neuen Sorglosigkeit“ zu warnen, ist nachvollziehbar. Einige Adressaten bedanken sich auch dafür, dass sich ihr Oberbürgermeister um sie sorgt.
Dass das Schreiben per Post versandt wurde, stellt sicher, dass die Mehrheit der Senioren auch wirklich erreicht wird. 60.000 Euro dafür zu investieren, dass sich potenziell 60.000 Bochumer besser vor einer Corona-Infektion schützen, erscheint mir doch eine wirkungsvolle Investition.
Die Vorhaltungen anderer Parteien wirken vor dem Hintergrund anderer Absprachen mit dem Oberbürgermeister inkonsequent. Im Zuge der Diskussion um die städtische Marketingaktion „Hier wo das WIR noch zählt“, hatten sich die Ratsfraktionen darüber geeinigt, dass Eiskirch bis zu den Sommerferien auf die Plakate gedruckt werden darf. Implizit wurde also der Deal ausgehandelt, erst ab dem 29. Juni ist Wahlkampf angesagt. Zu diesem Deal sollten die Oppositionsparteien auch in dieser Frage stehen.
Aktuelle Entwicklungen zur Coronakrise gibt es Bochumer Newsblog.
Eine Echtzeit-Karte zu Corona-Infektionen in NRW gibt es hier.