Bochum-Wiemelhausen. Die Kritik von Angehörigen am St.-Johannes-Stift in Bochum-Wiemelhausen bringt eine Pflegerin auf die Palme. In einem Brief lässt sie Dampf ab.

Hohe Wellen schlägt die Kritik einiger Angehöriger am St.-Johannes-Stift in Bochum-Wiemelhausen. Sie beklagten sich über das Besuchsverbot und den Umgang mit den Bewohnern im Seniorenheim an der Borgholzstraße. Die WAZ berichtete vor einer Woche darüber. Von Gefangenschaft war die Rede, von Knast ohne Hofgang, mit der die Situation in diesen Corona-Zeiten verglichen wurde. Aussagen, die im Stadtteil und auch im Seniorenheim selbst intensiv diskutiert werden – und für Empörung sorgen. Eine Pflegerin des St.-Johannes-Stifts fasste sich ein Herz und schrieb einen emotionalen Brief an die WAZ, in dem sie richtig Dampf ablässt.

Nach Kritik am Seniorenheim: Bochumer Pflegerin platzt der Kragen

Sie sei sprachlos gewesen, was diese Äußerungen angerichtet hätten, schreibt Kerstin Köhler darin. Sie sei von einer Nachbarin gefragt worden, „was denn bei uns im Stift los sei und warum wir das alten Menschen antun“. „Gerade in diesen Zeiten sind wir intensiv und mit viel Empathie für unsere Bewohner da“, stellt Kerstin Köhler klar. „Wir sind ,Töchter’, ,Mütter’, Ersatzfamilie, Ansprechpartner, Tröster und so vieles mehr.“

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Vor diesem Hintergrund fragt Kerstin Köhler: „Wie kann man es wagen, von Gefangenschaft, von Knast ohne Hofgang und Verwahrlosung zu sprechen?“

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„Wir schützen unsere Bewohner nach vorgegebenen Richtlinien“, sagt Köhler und weist noch einmal darauf hin, dass sich diese Zeiten niemand gewünscht habe. Ihr schlimmste Vorstellung sei es, im Rahmen ihrer Tätigkeit in dieser Corona-Krise einem Angehörigen sagen zu müssen „Es tut mir leid . . .“

Pflegekräfte bekommen von Angehörigen den Rücken gestärkt

Kerstin Köhler schreibt, sie wolle nicht, „dass Menschen für mich klatschen und singen“. Nein, „ich möchte, dass Angehörige Vertrauen haben“. Und, ein kleiner Seitenhieb, „auch nachdenken“. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen im St.-Johannes-Stift wüssten „sehr wohl, wie leidvoll diese Zeiten ohne Kontakt sind“. Aber es gehe um die Gesundheit aller: der Bewohner, der Angehörigen – und der Mitarbeiter.

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Kritisch merkt Kerstin Köhler noch an, dass die Angehörigen, die sich beklagt hatten, nicht den Mut gezeigt hätten, namentlich in Erscheinung zu treten. Es sei doch besser, „über Ängste und Probleme miteinander zu reden und Möglichkeiten zu finden“. Nicht unerwähnt möchte Köhler lassen, dass auch die Mitarbeiter Angehörige hätten, „die wir lange nicht gesehen haben und die sich um uns sorgen“. Ihre 83-jährige Mutter rufe sie täglich an und frage, ob es ihr gut gehe. „Sie hat Angst.“

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Unterstützung erfahren Kersten Köhler und ihre Kollegen und Kolleginnen aus dem St.-Johannes-Stift von anderen Angehörigen, die sich an die WAZ gewandt haben. „Wir sind mit der Vorgehensweise und Betreuung in dieser ,schwierigen’ Zeit sehr zufrieden“, schreibt Christa Obschinsky. „Zu behaupten, es fehle den Bewohnern an Freiraum und Abwechslung, trifft im Moment auf alle Menschen zu. Wir wollen die ,alten’ Menschen nur schützen. Und ich finde, dass in diesem Heim immer eine sehr gute Leistung erbracht wurde.“

Besuche unter strengen Auflagen möglich

Durch die Lockerung des Besuchsverbot dürfen seit Sonntag, 10. Mai, die Bewohnerinnen und Bewohner des St.-Johannes-Stifts w ieder Besuch von Familienangehörigen und Freunden bekommen. „Es sind strenge Hygienevorgaben (RKI) für Besuche vorgesehen, um weiterhin unsere besonders schutzbedürftigen Bewohner sowie unsere Mitarbeiter vor einer Infektion weitestgehend zu schützen“, heißt es auf der Internetseite.

Möglich sind Besuche (nach Termin!) für eine Dauer von einer Stunde von bis zu zwei Personen, die sich in ein Besuchsregister eintragen müssen. Zwingend erforderlich sind: Hände desinfizieren, einen Mund-Nasen-Schutz tragen und einen Abstand von 1,50 Metern einhalten. Sanitärräume des Hauses dürfen nicht aufgesucht werden.

Als „betroffene Angehörige“ habe auch sie sich sehr über die Kritik aufgeregt, schreibt Anke Helbing an die WAZ. „Nach einem Aufenthalt in einem anderen Heim waren wir sehr froh, dass mein Vater am 16. März ins St.-Johannes-Stift wechseln konnte. Er wurde dort in dieser Zeit ganz toll betreut. Wir konnten uns sogar einmal in der Woche per Whatsapp-Video sehen.“ Die Pfleger seien immer telefonisch ansprechbar gewesen. „Was muss das Personal für einen Druck aushalten, dass sich kein Bewohner ansteckt?“, fragt Helbing. „Und sie ersetzen zudem noch die fehlende Nähe der Angehörigen. Hat sich da schon mal jemand Gedanken zu gemacht?“

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Anke Helbings Vater ist seiner Krankheit erlegen. „Nein, es war nicht Corona“, schiebt sie dieser traurigen Nachricht sogleich hinterher. „Ich bin dem Pflegepersonal und der Sozialarbeiterin zutiefst zu Dank verpflichtet.“

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