Bochum. Intensivmedizin ist bei der Behandlung älterer Coronapatienten nicht immer sinnvoll, sagen Bochumer Palliativärzte. Der Patient soll entscheiden.
13 Corona-Tote sind in Bochum bisher zu beklagen. Alle starben im Krankenhaus, zuletzt eine 87-jährige Altenheim-Bewohnerin im Bergmannsheil. "Dabei könnte es für ältere Menschen gerade in diesen Zeiten tröstlicher und menschlicher sein, im eigenen Bett zu sterben", sagt die Bochumer Haus- und Palliativärztin Dr. Birgitta Behringer (54). Als Vorsitzende des Ambulanten Ethikkomitees Bochum appelliert sie an Senioren und Angehörige, rechtzeitig an eine Patientenverfügung zu denken. Damit im Notfall Klarheit herrscht, was der Patient will - und was nicht.
"Behandlung im Voraus planen": So heißt ein Netzwerk des Ethikkomitess u.a. mit Ärzten, Pflegern, Seelsorgern, Seniorenzentren, Hospizdiensten, der Stadt und Juristen. "Es ist ein Bochumer Modell, einzigartig in Deutschland", sagt Birgitta Behringer, die nicht nur das Komitee, sondern auch das Netzwerk leitet. Das gemeinsame Ziel: Menschen in der letzten Lebensphase sollen medizinisch so versorgt werden, wie sie es wollen bzw. gewollt hätten.
Patientenverfügung schafft Sicherheit
Dieser ureigene Wunsch nach einem selbstbestimmten Sterben gewinnt durch das Coronavirus eine dramatisch neue Bedeutung. Vielfach fehle es an aussagekräftigen Patientenverfügungen, verfasst in Zeiten, in denen die Menschen dazu geistig und körperlich noch in der Lage waren. Schlägt das Virus lebensbedrohlich zu, erfolgt in der Regel eine Noteinweisung in die Klinik. Dort herrsche dann vielfach Ungewissheit über eine lebensverlängernde Behandlung, sowohl bei Ärzten als auch Angehörigen, schildert Prof. Dirk Behringer (58), Onkologie-Chefarzt in der Augusta-Klinik.
Für die Folgen findet der Wittener Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns drastische Worte. In der Corona-Krise werde mit der Apparatemedizin versucht, hochbetagte Menschen zu retten, die das gar nicht wollen, so Thöns in einem WAZ-Gespräch. Die Sterberate sei dennoch hoch. Schwer erkrankte Senioren würden "in den sicheren, anonymen, unbegleiteten Tod geschickt".
Bewohner und Angehörige werden unterstützt
Birgitta Behringer lehnt zwar jede Pauschalisierung ab. Ihr Ehemann ärgert sich über eine Herabwürdigung der tapfer kämpfenden Klinikärzte und -Pfleger. "Alter ist kein Grund, jemand nicht zu behandeln. Das ist ethisch nicht vertretbar!", bekräftigen die Behringers. Jeder habe auch in der Corona-Krise das Recht auf die bestmögliche medizinische Versorgung. Aber: "Wir müssen spätestens jetzt mit unseren älteren Menschen sprechen, welche Voraussetzungen für eine Behandlung notwendig sind. Was ist wichtig für mich? Was kann, was will ich noch erreichen? Welche Grenzen setzt die Medizin?"
Das soll in den von Corona besonders betroffenen Altenheimen jetzt noch häufiger passieren. "Die Stadt und der ärztliche Rettungsdienst haben uns gebeten, uns um die Unterstützung der Seniorenheim-Bewohner in Bochum zu kümmern", berichtet Birgitta Behringer.
Für den Notfall vorbeugen
Stadtweit sind mehr als 20 Gesprächsbegleiter aktiv, die vom Ethikkomitee fortgebildet wurden, Bewohner und Angehörige fundiert beraten und über Patientenverfügungen (auch ohne Notar) informieren. Dazu seien auch die Hausärzte aufgerufen. So werde Sicherheit und Verlässlichkeit geschaffen.
"Die Bewohner können sich in Ruhe vorbereiten. Man kann ihnen anstrengende Aufenthalte im Krankenhaus ersparen und vermeidet schnelle Entscheidungen etwa vor der Einweisung auf eine Intensivstation. Dieser präventive Ansatz ist uns im Ethikkomitee immens wichtig", so Dirk Behringer. Weiterer Vorteil: Die Intensivbetten und auch Beatmungsgeräte bleiben für Patienten frei, die eine reelle Chance auf Heilung haben.
Sterben im eigenen Bett
Birgitta Behringen ist als Palliativmedizinerin sicher, dass rechtzeitige Vorsorge viel zusätzliches Leid verhindern kann. Nicht erst in der Corona-Krise stelle sich häufig heraus, dass Intensivtherapien - die viel zitierten Schläuche - für gebrechliche Menschen nicht mehr angezeigt seien. "Häufig sagen uns alte Menschen, dass sie das nicht mehr ertragen wollen und lieber im eigenen Bett sterben möchten": begleitet von ihren Familien, was in Kliniken derzeit schwierig bis unmöglich ist.
Auch diesen Weg zu gehen, das gelte es zu bedenken, ohne dabei zu verallgemeinern, dass alte Corona-Patienten kaum zu retten seien. Dagegen sprechen auch die aktuellen Zahlen. Zwar gibt es 13 Tote. Doch von den bislang 387 Infizierten in Bochum sind 261 wieder genesen.
Informationen: Ambulantes Ethikkomitee, Geschäftsstelle Am Heerbusch 3, www.ethikkomitee-bochum.de.