Bochum. 100 Bochumer beweisen in der Corona-Krise Gemeinsinn. In Crashkursen werden sie zu Pflege-Helfern geschult. Geld gibt's dafür nicht. Nur Joghurt.
Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht wir, wer sonst? Das Präsidium der Hochschule für Gesundheit (HSG) zögerte nicht, als der Krisenstab der Stadt Bochum im März einen Hilferuf gen Querenburg sandte. Die Entwicklung der Corona-Krise könne es notwendig machen, dass im Gesundheitswesen etliche zusätzliche Pflegekräfte gebraucht werden. Ob die HSG für eine Schnell-Schulung zur Verfügung stehe? "Selbstverständlich", sagt Fabian Berghoff (32), Referent am Department für Pflegewissenschaft. Gerade mal zwei Wochen später sind die Crashkurse angelaufen.
Gähnende Leere herrscht in den Seminar- und Übungsräumen auf dem Bochumer Gesundheitscampus. Wegen des Coronavirus ruht der Lehrbetrieb an der HSG. Der Beginn des Sommersemesters ist auf den 20. April verschoben: dann als Digital-Format.
In zwei Tagen zum Pflege-Helfer
"Es ist zwar nicht so, als wenn wir derzeit nichts zu tun hätten", sagt Fabian Berghoff und rückt sich den Mundschutz zurecht, der hier obligatorisch ist. Dennoch hat er mit dem HSG-Pflegeteam in kürzester Zeit ein Konzept entwickelt, das Freiwillige auch ohne jegliche Vorkenntnisse in zwei Tagen in die Lage versetzen soll, als Pflege-Helfer zu arbeiten. Einzige Voraussetzungen: gesund und unter 50.
Die Resonanz auf den Aufruf Ende März u.a. in der WAZ war "überwältigend", so Berghoff. Binnen 48 Stunden waren die vier Kurse mit jeweils 24 Plätzen ausgebucht. Auszubildende, Studenten, Beschäftigte, die derzeit in Kurzarbeit sind, bis hin zu zwei Flüchtlingen aus Syrien, deren Medizin-Studium hierzulande nicht anerkannt wird: "Das Feld ist bunt gemischt", berichtet der HSG-Referent. Erfreulich sei, dass die Hälfte der Teilnehmer Männer sind: "Das ist in der Pflege außergewöhnlich." Ärgerlich sei, dass anfangs einige Plätze leer blieben: "Es wurde noch nicht mal abgesagt." Zum Glück gibt's eine Warteliste.
Freiwillige sollen Fachkräfte unterstützen
Zweimal sechs Stunden dauert die Schulung. Essen und Trinken müssen mitgebracht werden, weil die Mensa geschlossen ist. Nur ein Joghurt geht aufs Haus. Hygiene-Regeln ("Wie schütze ich mich und andere?"), rechtliche Fragen ("Was darf ich - und was nicht?"), Alarmierungen im Notfall, praktische Übungen am Krankenbett: Fünf HSG-Dozenten vermitteln das Basiswissen für einen Pflege-Einsatz.
Die stille Reserve soll die Gesundheitsversorgung in höchster Corona-Not sichern: in Kliniken oder Altenheimen ebenso wie in der Kurzzeitpflege - etwa, wenn pflegende Angehörige daheim erkranken. "Dabei kann es immer nur um unterstützende Arbeiten gehen, unter Anleitung und Aufsicht von examiniertem Fachpersonal", betont Fabian Berghoff.
Einsatzübung im und am Bett
Julia Marie Nebe und Leon Heimann (beide 24) proben den Ernstfall - und haben Spaß dabei. Der Sportstudent spielt den Patienten im Übungsbett. Die Lehramtsstudentin füttert ihn mit Apfelmus. Nahrung anreichen, im Bett aufrichten, in den Rollstuhl hieven: "Mobilisation und Transfer" heißt diese Einheit.
"Jetzt ist Zeit, etwas für die Gemeinschaft zu tun", sagt Julia Marie Nebe. Als sie von dem Pflege-Kurs gelesen hat, war klar: "Da mache ich mit." Beeindruckend findet sie, wie solidarisch große Teile der Gesellschaft in der Corona-Krise zusammenstehen. Sie will ihren Beitrag leisten. Will helfen können, wenn's drauf ankommt. "Wo auch immer".
Fortsetzung ist möglich
"Die Lehrgänge machen echt Sinn", ergänzt Leon Heimann. Eigentlich wollte er in diesen Wochen für ein Praktikum ins Ausland reisen. "Geht leider nicht. Deshalb nutze ich die Zeit, um mich hier zu engagieren. Man lernt in der kurzen Zeit echt viel. Freude macht's obendrein."
Ob die Hilfe der Freiwilligen benötigt wird? "Das kann derzeit keiner wissen", sagt Fabian Berghoff. Für einen Corona-Ausnahmezustand gerüstet zu sein, sei jedoch ein Gebot der Stunde. Deshalb sei es möglich, dass die Hochschule für Gesundheit nach Auslaufen der ersten vier Kurse (der letzte am 18./19. April) weitere Blitz-Schulungen einrichtet.
Wenn nicht jetzt, wann dann?