Bochum drücken 1,7 Milliarden Euro Schulden. Eine Altschuldenübernahme würde eine große Last nehmen. „Aber das reicht nicht“, sagt die Kämmerin.
Es ist ein Meilenstein in der jüngeren Stadtgeschichte. Zum ersten Mal seit 29 Jahren hat die Stadt Bochum wieder einen auskömmlichen Haushalt. Das heißt: Es wird in den Jahren 2020 und 2021 voraussichtlich nicht mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Ein städtischer Haushalt ohne Schulden.
Schuldenfrei ist Bochum deshalb noch lange nicht. Es sitzt auf einem Berg von 1,74 Milliarden öffentlicher Schulden (Stand 30. September 2019). Fast die Hälfte davon, etwa 45 Prozent, könnte bald verschwinden und die Stadt damit wieder mehr „Luft zum Atmen bekommen“, wie Bundestagsabgeordneter Axel Schäfer (SPD) sagt.
Es geht um die 780 Millionen Euro Kassenkredite (Grafik); also die Kredite, die kurzfristig zur Deckung laufender Kosten aufgenommen werden – so wie ein Dispo für Privatleute. Mit dem Altschuldenfonds, über den derzeit in Berlin intensiv debattiert wird, sollen Städte vor allem in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland von ihren Kassenkrediten befreit werden.
„Nie war die Chance so groß wie jetzt, dass dies gelingen kann“, sagt Axel Schäfer. Und: „Ich bin optimistisch.“ Dabei geht es um bis zu 45 Milliarden Euro. Von allein 25 Milliarden Euro Schulden würden Städte in NRW befreit. Darunter auch Bochum.
Kassenkredite sind eine „Zeitbombe“
Eva Hubbert würde es freuen. Die Kämmerin würde damit auf einen Schlag die Hälfte „ihrer“ Verbindlichkeiten los. Der Druck auf die Stadt sei momentan zwar nicht so groß wie auf Kommunen, die längst schon kein Eigenkapital mehr besitzen. „Aber es würde uns von einer Zeitbombe befreien.“ Die Zeitbombe ist die Zinsentwicklung.bochum ist nach zehn jahren raus aus der finanzaufsicht
Momentan ist Bochums Belastung durch die Kassenkredite „relativ moderat“. „Wir bekommen sogar Geld, wenn wir Kassenkredite aufnehmen, 0,3 Prozent“, so die Kämmerin. Angesichts eines durchschnittlichen Zinssatzes von 0,73 Prozent für alle bislang aufgenommenen Kassenkredite in Höhe von 780 Millionen Euro Kassenkredite fällt jährlich ein Zinslast von 5,7 Millionen an.
Zinslast ist momentan moderat
Steigen die Zinsen, und das dürften sie irgendwann wieder tun, wächst diese Belastung – und würde Mittel binden, mit denen anderen Aufgaben wie neue Kita-Plätze, Straßenreparaturen, soziale Projekte und anderes nicht mehr gestemmt werden könnten. Stiegen etwa die Zinsen auf zwei Prozent, würde die jährliche Zinslast allein bei den Kassenkrediten auf 15,6 Millionen Euro wachsen, bei fünf Prozent wären es schon 39 Millionen Euro. Die Zeitbombe.
Eine Altschuldenregelung würde Eva Hubbert daher ebenso begrüßen wie wohl alle Kämmerer von Kommunen, die Kassenkredite drücken. Allerdings sagt sie auch: „Diese einmalige Hilfe reicht nicht. Es muss auch eine Lösung für die strukturelle Unterfinanzierung her.“ Vor allem mit den Sozialkosten, die sie tragen müssen, seien die Städte überfordert. Daher wäre es der Kämmerin im Moment sogar lieber, der Bund würde erst etwa die Kosten der Unterkunft vollständig übernehmen, weil damit Bochums Entlastung derzeit größer wäre als über einen Schnitt der Kassenkredite.
Nötig ist ein breites Bündnis
Bundestagsabgeordneter Axel Schäfer hält nichts von dieser Argumentation. Er sagt: „Ja, auch die Debatte über die Unterfinanzierung muss geführt werden. Sie ist der nächste Schritt.“ Aber ein „Ja, aber“ zu den Altschulden sei falsch. „Dafür darf es keine Relativierung geben. Ohne gute Kommunalfinanzierung kriegen wir unser gewachsenes Image, das in Verbindung mit Mark 51/7, mit der Gesundheitswirtschaft und mit der IT-Sicherheit gebracht wird, nicht unterfüttert.“
Hier gibt es mehr Artikel, Bilder und Videos aus BochumDazu müsse ein breites Bündnis geschnürt werden, an dem sich Bund, Länder und Städte beteiligen sollen. Es gehe um die Frage, ob nach der deutschen Einheit, für die allein NRW-Städte 70 Milliarden Euro aufgebracht haben, die nächste „solidarische Leistung“ gestemmt werden könne, so Bernhard Daldrup, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Sie könne dafür sorgen, dass die jetzt von Schulden erdrückten Städte ihre kommunale Selbstverwaltung zurückbekommen. Er hält es ebenso wie Axel Schäfer mit dem SPD-Abgeordneten Frank Schwabe, der dieser Tage bei einer Info-Veranstaltung zum Altschuldenfonds sagte: „Jetzt ist eine einmalige Chance.“